Die Weihnachtsgeschichte anno 2018

Motiv des Adventskalenders 2018 © Timur Friederici
Motiv des Adventskalenders 2018 © Timur Friederici

Jules sitzt mit gesenktem Haupt in der Bahn und bewegt die Finger schnell auf seinem Smartphone hin und her. Kein Blick für die anderen Mitreisenden. Battle, Punkte, Level, Teilen, Siegen. Mehr interessierte ihn nicht auf dem kurzen Weg von der Schule nach Hause.

„Oh, Level 14“, hörte er nebenläufig eine Stimme leise sagen. Felix konnte es nicht sein. Der macht auf krank. Klausur heute. Weiter. Jump and run. Point. Noch zweiundzwanzig Punkte zum Level 15. „Nach rechts und dann spring.“ Was soll das? fragte sich Jules. Quatsch hier nicht rein. Jetzt hob er den Blick. Es reichte ihm. Er ist Chief Commander in seiner Gruppe! Na gut, der Master Chief ist auf Level 16. Aber, genau. Lass Dir nicht reinreden, dachte er sich und wollte wissen, wer ihn störte.

Die Bahn war voll. Weihnachtsmarkt. Wie ätzend. Die ganzen Glühwein-Hipster und After-Work-Junkies. Weihnachten. Bla bla bla. Wie soll bei dem Schlagergejaule und den Drängelatacken zwischen Sockenhändlern und Chinaschnitzereien weihnachtliche Stimmung aufkommen? Einen kurzen Moment lenkten ihn seine Gedanken ab. Weißt Du noch, wie ´s früher war? Mit Mama jeden Samstag vor Advent Plätzchen backen. Ja, die Weihnachtsmusik kannte er über die Jahre auswendig. Aber, Sting, Smashing Pumpkins, Guns n‘ Roses, selbst Rat Pack brachen den kitschigen Mix immer wieder auf. Haben schon einen coolen Musikgeschmack meine Alten. Und dann Heilig Abend. Mein Klavierstück gehörte dazu. Nichts von wegen „Oh Tannenbaum“ und so. „Fluch der Karibik“, mein Assassins Creed Stück und ein paar Improvisationen von anderen Filmmusiken. Die Geschenke passten schon. Voll mein Geschmack. Sie haben sich schon viel Mühe gegeben trotz vielem Arbeitsstress und selbst Terminen an den Wochenenden. Haben kein Konzert von mir verpasst. Und die Wohnung war immer in Weihnachtsstimmung geschmückt. Nicht zu bunt. Ja, manchmal zu viel Kleinzeug. Aber, Mama mag das. Das war ihr Ding und gehörte irgendwie dazu.

„Nach rechts.“ Er erwachte aus seinen Gedanken. Sein Blick fuhr herum. Wer bloß? Keine Ahnung. Alle eingehüllt in dicke Klamotten. Schals bis oben zu und dann die unmöglichsten Kappen aufm Kopp. Es ist mal wieder kalt geworden. Schnee soll auch noch kommen. Weiße Weihnacht. Ha, Klimawandel? Hat sich eh alles verschoben. Der Sommer war erdrückend heiß und dann nur Regen und Matsch. Der Schnee kommt von Amerika rüber. Mal was Gutes von dort und nichts in Orange mit gelber Föhnwelle.

„Jetzt“, rief es aus der vermummten Masse der Bahn heraus. Wer, verdammt? Zornig ließ er den Blick schweifen. Nichts. Keine nervige Braut, die zu der Stimme passen konnte. Da tippte ihm jemand vom hinteren Sitz auf die Schulter. „Machen Sie es einfach. Nach rechts.“ Er warf seinen wütenden Blick herum. Das ist jetzt nicht wahr, rief es in ihm laut auf. Sein Blick fiel auf eine elegant gekleidete alte Dame. Klein, sodass sie gerade über die Haltegriffe des Sitzes hinüberschauen konnte. Sie musste sich sehr angestrengt haben, um Jules beim Spielen zuzusehen.

„Was meinen Sie“, ermahnte sich Jules zu einem höflichen Unterton, obwohl er immer noch zweifelte, dass die alte Frau ihn beobachtet haben konnte und den Kommentar abgegeben haben soll. „Gute Abend. Ich bin Miriam. Ja, Sie müssen nach rechts und schnell springen, dann bekommen Sie Bonuspunkte und landen schneller im nächsten Level.“ „Wie kommen Sie darauf?“ Jules blickte die alte Lady ungläubig an. Das passte nicht zusammen. Surreal. „Oh, Entschuldigung. Mein Name ist Jules. Aber, was sagen Sie da?“ „Machen Sie es doch einfach.“ „Warum?“ seine Stimme hob sich bei dieser Frage. Dieses typische, genervte Privat-TV-Gequicke der auf jung getrimmten Moderatoren-Kevins. „Vertrauen Sie mir“, lächelte die alte Dame ihn freundlich an. Jules Unterbewusstsein meldete sich: „Wer freundlich ist, dem kann man vertrauen“, so ein Spruch von seiner Mutter. Die hatte einen Blick für die Psyche der Menschen. Sie lag komischer Weise bei den meisten Menschen richtig.

Diese kleine gedankliche Abschweifung verhalf Jules, mit einem Augenblinzeln Miriam besser zu checken. Ok, vertraue ich ihr, dachte er. Im schlimmsten Fall muss ich das Level neu starten. „Aber, ich bin so weit, fast da.“ „Los, trauen Sie sich“, wiederholte Miriam. Jules wischte den Code für die Screensperre und bestätigte mit „Weiter“ die Fortsetzung des Spiels.

Zack nach rechts und Sprung und Yeh. Crass. Die „Alte“ hatte Recht. Bei diesem Gedanken erschrak er. Hatte er jetzt wirklich „Alte“ gedacht. Ja, aber es war doch nur aus Freude über den Erfolg. Innerlich entschuldigte er sich bei der alten Dame. „Aber, woher wussten Sie …“, kam ihm dann doch in ehrfurchtsvollem Ton über die Lippen. „Wussten Sie nicht, dass das durchschnittliche Alter der Handyspieler bei über 55 Jahren liegt? Also, warum sollte ich nicht auch spielen können. Ja, und bloß nicht so einen dummen Mist wie diese Bubble Spiele und so. Nein, das da ist etwas Anspruchsvolles.“

Jules guckte nicht schlecht. „So, und nun weiter im Spiel“, forderte ihn die alte Frau ihn auf. „Sie wollen doch schließlich noch mehr Level schaffen?“

Er schwamm mit seinen Fingern über den Minibildschirm, wechselte die Werkzeuge und Eigenschaften. Dabei kniete er rückwärts auf seinem Sitz, um Miriam besser an seinem Spiel teilhaben zu lassen. „Nicht ungeschickt, junger Mann“, warf sie zwischendurch einmal ein. Noch 70 Punkte. Dann klopfe ihm jemand auf die Schulter. „Aussteigen. Endstation. Raus hier, wir sind keine Spielhölle.“ Das war der Straßenbahnfahrer. Sichtbar genervt. War wohl seine letzte Fahrt. Feierabend und zack nach Hause zu Mutti. „Na, das ist kein höfflicher Ton gegenüber einer Dame“, erwiderte Jules. „Da ist eine kleine Entschuldigung fällig, mein Herr. Und dann steigen wir aus. Fröhliche Weihnachten.“ Mehr als ein verdattertes Gesicht des Tramfahrers konnten Jules und Miriam beim Aussteigen nicht mehr wahrnehmen. Wie aus einer automatischen Gewohnheit heraus entfernte sich Jules an der Seite der alten Dame von der Straßenbahnhaltestelle. Nur wenige hundert Meter, ohne ein Wort zu sagen. Eine Haustür stoppte den gemeinsamen Weg. „Hier wohne ich. Willst Du noch … Ich darf doch jetzt als Spielkollegin Du sagen … Also, willst Du noch Dein Spiel bei einer heißen Schokolade bei mir beenden?“ Und wieder war Jules verdattert. „Ja, klar, warum nicht“, stotterte er und trat über die Schwelle ein. Es war ein kleines Einfamilienhaus am Ende der Wendeschleife. Auf den ersten Blick gemütlich. Ein Weihnachtsbaum leuchtete ihm im Flur entgegen. „Wollen wir in die Küche gehen oder ins Wohnzimmer?“ Aber, Miriam entschied sich bereits für die Küche. Sie stupste den jungen Mann in die Richtung und ging selbst zum Herd. Während die Milch für die heiße Schokolade warm wurde, holte sie noch ein paar Plätzchen vom Küchenschrank runter. Sie musste sich strecken, denn die Fußbank war nicht so hoch. „Alte Gewohnheit. Ich musste die Plätzchen immer vor meinen Männern verstecken. Ansonsten naschten sie heimlich immer alles schon vor Weihnachten weg“, grinste sie. „Und wo sind Ihre Männer jetzt?“ Die Frage von Jules klang etwas verlegen. Schließlich war Miriam aus seiner Sicht in einem Alter, wo vielleicht der Partner schon nicht mehr lebte. „Der Große hat selbst eine Familie. Die kommt Heilig Abend hierher, dann feiern wir gemeinsam und es gibt die Plätzchen auf den bunten Tellern. Und der ‚Alte‘“, sie seufzte. Jules wurde etwas heiß. Mist, warum hatte er gefragt. Jetzt ist Miriam bestimmt traurig. „Mein Mann ist im Baumarkt. Er glaubt, wir brauchen noch etwas für die Laube draußen im Garten.“ Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Es polterte laut. Autsch. Das Geräusch war keine Fiktion. Sein Handy hatte er vor Aufregung aus seinen Fingern gleiten lassen. Hart schlug es auf den Küchenfliesen auf. Nichts passiert. Zum Glück.

Miriam setzte sich zu ihm und schob den heißen Kakao unter seine Nase. Lecker. „So, nun lass mal sehen, wie weit Du bist“, setzte die alte Dame das „Fachgespräch“ fort. Jules war an einer kniffligen Stelle. 35 Punkte vom ultimativen 16. Level entfernt. „Traust Du Dich nicht zu fragen?“ Miriam blickte neugierig von links auf sein Smartphone. Naja, irgendwie wollte er es schon selbst schaffen. Es winkt der Master Chief. Aber, wer sollte das draußen in der Community schon wissen, ob er Hilfe bekam? „Na gut“, antwortete Jules. „Aber, was ist mit der Ehrlichkeit?“ „Glaubst Du wirklich, dass ich zum Master Chief wurde, weil ich auf meine alten Tage alles allein dahingedaddeld habe? Meine Enkelkinder haben den Titel eigentlich verdient. Der Große ist vierzehn. Ich war an der gleichen Stelle. Wie du jetzt. Er ging wieder nach links, aktivierte das Feuersymbol und flog über den See genau auf den Schatzbutton. Fertig war er. Seit Ostern hat mich nie einer eingeholt. Ich bekam mit dem Titel des Master Chiefs gleich zwei neue Herausforderungen geschenkt. Doch jetzt fehlt der Anreiz, weil keiner hinterherkommt.“ Jules Mund ging nicht mehr zu vor Staunen. Waaaaas? Die alte Dame ist der Master Chief? Unbegreiflich. Weltweit spielen wohl über eine Million das Spiel und ich treffe in der Straßenbahn den Master Chief? Quatsch. Er probierte die von Miriam beschriebenen Schritte gleich aus. Tatatata. Tusch. Applaus. Level 16. „Welcome. New Master Chief“, erklang eine sonore Stimme aus den Minilautsprechern seines Handys. Wow. „Japp, ich hab’s geschafft“, freute sich Jules und umarmte Miriam in einem Anflug höchsten Glücks.

Auch die alte Dame konnte ihre Freude nicht zurückhalten. Nach Jules Umklammerung stupste sie ihm kräftig gegen Schulter. „Na, habe ich es Dir nicht gesagt?“ „Ja“, entgegnete der junge Mann, der sich wie ein Siebenjähriger freute, der gerade einen neuen Lego-Bausatz unterm Weihnachtsbaum gefunden hatte. „Choose your win“, forderte ihn sein Smartphone auf. Auf dem Display erschienen drei verschiedene Gewinnoptionen: Zwei neue Herausforderungen, wie Miriam gesagt hatte. Das wäre genau das Richtige, womit er im Spiel weitermachen könnte. Die zweite Option: Eine Teilnahme an der letzten Runde der Verlosung von Tickets für die „E3“ Computerspielemesse in Los Angeles im Juni. Ein Traum. Aber, noch nichts Sicheres. Und hinter der dritten Option verbarg sich ein „Social Project“ des Anbieters. Kann man mal gucken, sagte sich Jules. Die Firma unterstützt Schulen in Afrika mit Tablets und Trainern für die Lehrer. Das eingesparte Geld, wenn die Spieler auf ihren Gewinn verzichten, verdoppelt die Firma und setzt den Betrag für das Projekt ein. Die Aktion läuft in allen Games der Entwickler und hat bislang eine halbe Millionen Dollar eingespielt. Jetzt kam Jules ins Zweifeln. Er blickte Miriam an, die ihre Brille geholt hatte, um die kleinen Texte mitlesen zu können. Mit der Fremdsprache kam die alte Englisch-Lehrerin gut zurecht. „Leichte Sprache“ für Gamer, schmunzelte sie in sich rein. Ihr Gesichtsausdruck gegenüber Jules blieb neutral. Keine Regung. Sein Zeigefinger kreiste gerade einmal einen Hauch über den Touchscreen zwischen den ersten beiden Optionen. Plötzlich gab es einen Ruck von links und der Finger landete auf dem „Social Project“ Button. „A great choise. Congratulations“, erklang sich Handystimme. „Please confirm.“ Miriam hatte Jules absichtlich in die Seite gestoßen, wodurch er auf den Bildschirm tippte. Was sollte er machen? Back or confirm? Confirm. Das war nun seine Wahl. Hatte er denn wirklich eine? Jules blickte zu Miriam hinüber: „Master Chief, ich habe verstanden“, verkündete er pathetisch mit einem Augenzwinkern. Und Miriam lächelte zurück. Da unterbrach das Klingeln seines Handys die Stimmung. Aus dem Lautsprecher grellte es: „Wo bleibst Du? Wo bist Du?“

„In einer Weihnachtsgeschichte“, sagte er kurz und legte auf, ohne auf eine Antwort zu warten.

Mit digitalen Weihnachtsgrüßen

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