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Fußball-EM

Denkanstoß des Tages – Fußball-EM-Aus im Achtelfinale gegen England

29. Juni 2021 Michael Lindner 0

Vielleicht wird man nach der Ära Löw mit der Deutschen Nationalmannschaft schneller einen Angriff erfolgreich aufbauen als ich eine IKEA-Schrankwand. Chchchch Hintergrund: Im Vorfeld des […]

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    Vermögenszuwachs: Reichstes Prozent kassiert fast doppelt so viel wie Rest der Welt zusammen

    Oxfam-Bericht zur sozialen Ungleichheit Konzerne und Superreiche profitieren von den Krisen, während Armut und Hunger rasant steigen // Oxfam: Hohe Steuern auf Übergewinne und Vermögen […]

  • Denkanstoß am Ende des Jahres – und zum Schluss wird der Rest von Rügen auch noch verkauft

    Mein ganz persönlicher Jahresrückblick Öl ins Feuer, anstatt den Brand zu löschen Waren die letzten Jahre von viel Unruhe und Unruhen geprägt, erzielte das Jahr […]

  • Dramatischer Hunger und satte Gewinne: Oxfam fordert G20 zum Handeln auf – Pressemitteilung Oxfam

    Einkommensschwache Länder entschulden, Übergewinne auf krisenbedingte Extraprofite von Konzernen sowie sehr hohe Privatvermögen besteuern und deutlich mehr Unterstützung für hungerleidende Menschen fordert  die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam von den G20 beim Gipfel auf Bali. Die G20 müssen dem skandalösen Widerspruch zwischen der dramatisch steigenden Anzahl an Menschen, die von Hunger und Armut betroffen sind, einerseits und den sprudelnden Krisengewinnen von Milliardären andererseits etwas entgegensetzen.

  • Klimakiller Reichtum: Ein Milliardär verursacht so viel Treibhausgase wie eine Million Menschen – Pressemitteilung Oxfam

    125 Milliardär*innen verursachen jährlich 393 Millionen Tonnen an Treibhausgasen – so viel wie ganz Frankreich. Jede*r von ihnen ist im Durchschnitt wegen seiner/ihrer Investitionen für so viele Emissionen verantwortlich, wie eine Million Menschen aus den ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung. Das geht aus dem Bericht „Carbon Billionaires: The investment emissions of World’s richest people” hervor, den die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam anlässlich der UN-Weltklimakonferenz COP 27 in Scharm El-Scheich veröffentlicht. 

  • "Nicht geselllschaftsfähig. Tod, Verlust, Trauer und das Leben" © Schwarwel 2022

    Der Tod des Vaters – aus „NICHT GESELLSCHAFTSFÄHIG. TOD, VERLUST, TRAUER und das LEBEN“

    Am 23. August 2022 erschien das zweite Buch in der Reihe #nichtgesellschaftsfähig „Tod, Verlust, Trauer und das Leben“. Sandra Strauß und Schwarwel haben erneut eine über 600-seitige Anthologie mit Texten herausgegeben, die ein Thema behandeln, das scheinbar nicht gesellschaftsfähig ist. Dieser Text ist für dieses Buch geschrieben worden. … „Warum sollte ich um einen Mann trauern, den ich gar nicht kannte? Wir waren vorher, in der Kapelle eher heiter. Lachten davor sogar kurz. Nur der kurze Moment der Stille im Dunklen, von ein paar Kerzen leicht erhellten Rundbau, unterbricht die vermeintlich fröhliche Stimmung. Nur dieser Moment. Ungläubige Blicke des Bestatters.“

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  • Der Freitag
Iranische Staatsmedien melden Begnadigung vieler Gefangener
5 Februar 2023
Iranische Staatsmedien melden Begnadigung vieler Gefangener
Im Iran sollen Zehntausende Gefangene begnadigt worden sein - darunter Demonstranten, die während der jüngsten Proteste inhaftiert wurden. Einzelheiten dazu sind unklar, zudem gelten Bedingungen für die Begnadigung.
Maaßen lässt CDU-Ultimatum zum Parteiaustritt verstreichen
5 Februar 2023
Maaßen lässt CDU-Ultimatum zum Parteiaustritt verstreichen
Ex-Verfassungsschutzchef Maaßen ist trotz eines Ultimatums der Partei noch nicht aus der CDU ausgetreten. Nun will das Präsidium ein Parteiausschlussverfahren einleiten und ihm mit sofortiger Wirkung die Mitgliedsrechte entziehen.
Kommentar zum Papst in Afrika: Eine seiner erfolgreichsten Reisen
5 Februar 2023
Kommentar zum Papst in Afrika: Eine seiner erfolgreichsten Reisen
In der Regel kehrt der Papst mit einem Sack warmer Worte von seinen Reisen zurück, aber ohne konkrete Zusagen. Diesmal ist das anders, meint Jörg Seisselberg. Der Blick der Welt richtete sich durch Franziskus wieder nach Afrika.
Afrika-Reise des Papstes endet mit Messe im Südsudan
5 Februar 2023
Afrika-Reise des Papstes endet mit Messe im Südsudan
Papst Franziskus hat seiner Reise nach Zentral- und Ostafrika beendet. Im Südsudan appellierte er in einer Messe zum Abschluss an die Politiker, sich für ein Ende der blutigen Konflikte einzusetzen.
Acht Tote binnen weniger Tage durch Lawinenabgänge
5 Februar 2023
Acht Tote binnen weniger Tage durch Lawinenabgänge
Seit Freitag sind bei Lawinenabgängen in Österreich, der Schweiz und Italien mindestens acht Menschen ums Leben gekommen. In Osttirol wurde ein Schneepflug von den Schneemassen von der Straße gerissen, der Fahrer konnte nur noch tot geborgen werden.
Ökolöwe startet Petition: Das wertvolle Biotop an der Döbelner Straße darf nicht zerstört werden
5 Februar 2023 - Ralf Julke

Der Bau von Schulen ist in Leipzig mittlerweile zu einem Balanceakt geworden. Denn in der Zeit, als Leipzig sich die notwendigen Baugrundstücke für all die Schulen hätte sichern müssen, die jetzt gebraucht werden, hat das Leipziger Liegenschaftsamt noch eifrig städtische Grundstücke verkauft, um den Haushalt zu stärken, wie das damals hieß. Doch jetzt sitzen zumeist […]

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Die Welt war niemals postkolonial: Der Leipziger Sänger David Novell veröffentlicht seine Single „Demut“
5 Februar 2023 - Redaktion

Am Freitag, dem 3. Februar, hat der Leipziger Rapper und Sänger David Novell seine neue Single „Demut“ veröffentlicht, eine Hip-Hop-Ballade über persönliche Transformation und Privilegien. Was schon in der zentralen Zeile steckt: „1984 heißt für mich nicht nur George Orwell, sondern auch Release von Bronski Beat ‚The Age of Consent‘“. Auf „Demut“ geht es zudem […]

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SPIN2030: Haben Sie sich schon einmal mit einem Roboter unterhalten?
5 Februar 2023 - Thomas Köhler

Am 3. Februar fand in der Kongresshalle am Zoo in Leipzig die Wissenschaftsmesse SPIN2030 statt, da hätten sie die Gelegenheit gehabt. Thema war „Die Zukunft des Wissenschaftslandes Sachsen“ und es gab viel Neues zu sehen. Viele werden bedauern, dass die Messe zwar öffentlich zugänglich und sogar kostenfrei war, aber die meisten Interessierten wahrscheinlich nicht mitbekommen […]

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Denkfabrik für die digitale Transformation: Digitalagentur Sachsen feiert Geburtstag
5 Februar 2023 - Pressemeldung

Am 3. Februar 2022 eröffneten Digitalminister Martin Dulig und Ines Fröhlich, Beauftragte der Staatsregierung für Digitales die Digitalagentur Sachsen (DiAS). Als nachgeordneter Bereich des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr steht die DiAS seitdem als Denkfabrik und zentraler Dienstleister in Sachsen bereit. Ein Jahr nach der Gründung sind wichtige Meilensteine erreicht. Im Bereich digitale […]

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Sonntagskirche № 66: Die verlorene Kirche Zweedorf – und ihre Auferstehung
5 Februar 2023 - Redaktion

Kirchenbauwerke gehören zu vielen Ortschaften. Sie sind bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke. Die Gotteshäuser haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch ihre Zukunft ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen auch außerhalb von Mitteldeutschland – und was […]

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Uns geht es darum, die Wahrheit zu verteidigen
3 Februar 2023 - Humberto López

Die Verhandlung im Zusammenhang mit der Klage gegen die Nationalbank und die Republik Kuba vor dem High Court of London wurde in Anwesenheit unseres Justizministers abgeschlossen

Auf die Plätze ... fertig ... Messe!
3 Februar 2023 - Susana Besteiro Fornet

Die 31. Ausgabe ist den hundertsten Geburtstagen von Fina García Marruz und Antonio Núñez Jiménez sowie der herausragenden Forscherin Araceli García Carranza und dem Schriftsteller Julio Travieso Serrano gewidmet

Kuba hat großes Zutrauen zu euch
3 Februar 2023 - Yaima Puig Meneses

Präsident Díaz-Canel war am Donnerstagmorgen im Lateinamerikastadion, zusammen mit einer Vertretung der kubanischen Mannschaft, die an den V. World Baseball Classics teilnehmen wird

Neues schwimmendes Kraftwerk zur Unterstützung der Stromerzeugung eingetroffen
2 Februar 2023 - Wennys Díaz Ballaga

Es handelt sich um die achte Anlage dieser Art, die dank einer Vereinbarung mit dem türkischen Unternehmen Karadeniz Holding nach Kuba kommt

In Kuba hat das Jahr der Verteidigungsbereitschaft 2023 begonnen
2 Februar 2023 - Liz Conde Sánchez

Beim Truppenappell wurde eine Gruppe von Offizieren und zivilen Mitarbeitern der Einheit Gloria Combativa Rescate de Sanguily, Orden Antonio Maceo, für die im Jahr 2022 erzielten Ergebnisse mit den Auszeichnungen für Herausragende Dienste und Herausragende Verteidigungsbereitschaft geehrt

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Tanztheater | Freakshow Schwanensee: Wie kann sich der Kanon der Tanzwelt ändern?
5 Februar 2023 - Alina Saggerer, Friederike Hartge
Tanztheater | Freakshow Schwanensee: Wie kann sich der Kanon der Tanzwelt ändern?
Von Nussknackern und anderen Problemen: Bei einer Veranstaltung im Staatsballett diskutierten Profis und Publikum über den Kanon der Tanzwelt Freakshow Schwanensee: Wie kann sich der Kanon der Tanzwelt ändern?

Kanons, Kanoi – oder doch Kanone? Das Wort „Kanon“, also ein Ensemble als verbindlich geltender Werke, scheint so stark als Singular gesetzt zu sein, dass nicht sofort klar ist, wie sich der Plural des Begriffs bilden lässt. Tatsächlich gibt es zwei Möglichkeiten: die Kanons oder Kanones. Doch der Kanon scheint ein Repertoire und die damit verbundenen Assoziationen zu bestimmen, auch im klassischen Tanz: Schwanensee, Der Nussknacker, Giselle. Aber ist er wirklich so unumstößlich? Wer oder was bestimmt ihn überhaupt? Welche Stereotype und Diskriminierungen prägen ihn? Und nicht zuletzt: Wer kann wie Kritik an Kanonisierungsprozessen üben?

Diesen Fragen widmen sich nicht nur Tanzwissenschaftler:innen, sondern zunehmend auch die großen Häuser selbst – wie das Staatsballett Berlin. Am Dienstagabend vergangene Woche lud es zur Veranstaltung „Crushing the Canon“, organisiert in Kooperation mit der Tanzwissenschaftlerin Mariama Diagne und Studierenden der Freien Universität Berlin.

Den Rahmen bildete die Gesprächsreihe „Ballet for Future? Wir müssen reden!“, die das Staatsballett ins Leben rief, nachdem 2021 eine Tänzerin Rassismus und Diskriminierungserfahrungen am Haus öffentlich gemacht hatte. Im Zuge der Aufarbeitung dieses Vorfalls wurde auch das Repertoire untersucht. Dies führte dazu, dass die kommissarische Intendantin Christiane Theobald Ende 2021 entschied, den Nussknacker aufgrund der Reproduktion ethnischer Stereotype aus dem Programm zu streichen. Der Aufschrei in der Ballettwelt war groß, Vorwürfe von Cancel Culture wurden laut. Theobald hatte sich allerdings nicht gegen den Nussknacker im Allgemeinen, sondern gegen eine spezifische Inszenierung – die Rekonstruktion der Originalinszenierung von 1892 – entschieden. Die Darstellungen des „arabischen“ und des „chinesischen Tanzes“ entspringen den damals üblichen, von der imperialistischen Gesellschaft geprägten Vorstellungen.

Anstatt die einen reden und die anderen zuhören zu lassen, sollten die Besucher:innen in den Austausch kommen – miteinander und mit Profis vom Staatsballett und aus der freien Tanzszene. So erzählte Pauline Voisard, Tänzerin im Corps de Ballet und Choreografin, von Stereotypen der Unterwürfigkeit und Geschlechterklischees im klassischen Ballett und von der harten Arbeit, die der Illusion von Leichtigkeit auf der Bühne zugrunde liegt. Olivia Hyunsin Kim, die sich mit Autor:innenschaft, multiplen Erzählweisen und der koreanischen Diaspora beschäftigt, kritisierte die fehlende Diversität nicht nur auf der Bühne, sondern auch in den Führungspositionen der großen Häuser.

Insbesondere das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Tanzszenen erwies sich als produktiv. So konnte beispielsweise die Performerin Angela Alves, die sich in ihren Arbeiten mit den Themen Zugänglichkeit, unterschiedlichen Fähigkeiten von Körpern und ihrer Multiplen Sklerose auseinandersetzt, feststellen, wie verschieden Sehgewohnheiten sein können: „Für mich ist Schwanensee die Freakshow“ – und eben nicht die Norm.

Sehnsucht nach Märchen

Denn während es im klassischen Ballett viel um Originalinszenierungen und stereotype Darstellungen geht, infolgedessen Tänzer:innen mit dem Ziel ausgebildet werden, sich einer physischen Uniformität anzunähern, kann die freie Tanzszene diese Perfektion infrage stellen und die Unterschiedlichkeit der Körper mit diversen Fähigkeiten und Hintergründen beleuchten. Es geht hier vielmehr darum, Repräsentation zu schaffen für diejenigen, die auf Bühnen unsichtbar oder zum Klischee gemacht werden.

Entsprechend unterscheiden sich auch die Erwartungen der Zuschauer:innen. In der Diskussion merkten einige an, dass das traditionelle Publikum im Ballett staunen und in Ehrfurcht versetzt werden möchte. Damit einher geht der Wunsch nach klassischen Erzählweisen, den meist märchenhaften Handlungen, die in eine andere Welt entführen. Dass diese häufig voller veralteter Stereotype sind, spielt dabei bisher oft nur eine untergeordnete Rolle. Der Prinz als Retter oder das weibliche Corps de Ballet als übermenschliche Wesen – Schwäne oder Feen – sind zur Tradition geworden und wurden in der europäischen (Ballett-)Kultur über Generationen hinweg weitergegeben. Dass diese Tradition gerade in krisenhaften Zeiten vielen Menschen ein Gefühl von Vertrautheit und Halt gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. Nicht umsonst erfreuen Ballettklassiker sich insbesondere am Jahresende großer Beliebtheit. Doch wie könnten zeitgemäße Inszenierungen dieser Werke aussehen?

Am Beispiel von Patrice Barts Inszenierung von Schwanensee (1997) am Staatsballett Berlin zeigte Nadja Saidakova, ehemals erste Solistin, heute Ballettmeisterin und Choreografin am Staatsballett, auf, dass durchaus neue Narrative in den Klassikern verankert werden können. Bart wertet die Rolle der Königin – im Libretto eine repräsentative Nebenrolle – zu einer der Hauptrollen auf und macht aus ihr eine starke, emanzipierte, aber auch manipulative Person, die letztlich alles verliert. Am Ende steht hier keine märchenhafte Traumhochzeit, sondern die Folgen selbstsüchtiger Interventionen.

Aber auch ein Ansatz, der ursprünglich für größere Freiheit stand, kann erstarren, wie das Beispiel des Tanztheaters von Pina Bausch zeigt. Ging es der Choreografin zu Lebzeiten nicht darum, „wie sich die Menschen bewegen, sondern was sie bewegt“, ist es heutzutage unmöglich, ihre Inszenierungen aufzuführen und dabei von den engen historischen Vorgaben abzuweichen – dafür sorgt die Pina Bausch Foundation. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die einzelne tanzende Person und ihr Erleben, sondern die Bewahrung eines Erbes – das dadurch allerdings, wie ein Besucher anmerkte, pervertiert wird.

Bei aller Einigkeit kam es gegen Ende doch noch zu einer Kontroverse über die Frage, wer die Spielpläne prägt und wer unterrepräsentiert ist. Staatliche Häuser haben bereits begonnen, ihre Spielpläne mit zeitgenössischem Repertoire zu erweitern. Die physische Uniformität der Ballettensembles wird zunehmend infrage gestellt, kann allerdings nicht mit den Entwicklungen der freien Szene mithalten. Hier finden regelmäßig Festivals wie 2022 das „Volume Up“statt, kuratiert von Olivia Hyunsin Kim, das marginalisierte und von Diskriminierung Betroffene in den Mittelpunkt stellte.

Abschließend wurde klar: Es muss die Bereitschaft bestehen, mit dem Kanon zu brechen, damit Brücken zwischen Altem und Neuem geschlagen werden können.

Die Autor:innen waren Teil des Organisations- und Moderationsteams der Veranstaltung

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

Lexikon | Die EU lässt die Grille als Lebensmittel zu: Wissenswertes über das Tier
5 Februar 2023 - der Freitag
Lexikon | Die EU lässt die Grille als Lebensmittel zu: Wissenswertes über das Tier
Die EU-Kommission lässt die Grille als Lebensmittel zu, Hubert Aiwanger ist empört. „Und in meinen Sinnen schrillen / kleine Wünsche mit den Grillen“ reimte allerdings nicht er sondern Rilke. Was man sonst noch über die Grille wissen muss Die EU lässt die Grille als Lebensmittel zu: Wissenswertes über das TierA

Anstandsdame Sobald Pinocchioseine Holzbeine hat, rennt er weg. Der Vater läuft ihm hinterher und hält ihn fest. Die Puppe schmeißt sich auf den Boden. „Der arme Junge“‚ denken die Leute und hetzen Polizisten auf Geppetto, der dann verhaftet wird. Autor Carlo Collodi war auf der Seite der Armen und prangerte in solchen Szenen die willkürliche Staatsgewalt an. „Il Grillo Parlante“, die Sprechende Grille, rät Pinocchio, er solle auf seinen Vater hören. Und zur Schule gehen, „sonst landest du im Krankenhaus oder im Gefängnis“. Die Grille ist die Anstandsdame, praktisch sein Gewissen. Aber der Holzkopf will keinen Tadel, lieber ein Leben als Vagabund. Pinocchio erschlägt die Grille mit dem Hammer, bis sie zerquetscht an der Wand klebt, wie bei Tarantino. Sie kehrt als Gespenst zurück und warnt Pinocchio vor der betrügerischen Katze und dem gierigen Fuchs ( ➝ Vorsorge).Maxi Leinkauf

B

Biblisch Nach jeder Weigerung des Pharao, Moses mit seinem Volk ziehen zu lassen, schickte JHWH den Ägyptern eine weitere Plage. Nummer acht waren die Heuschrecken, die „alles fraßen, was im Land wuchs und was der Hagel (Plage sieben) gelassen hatte“. Zuletzt suchten die gefräßigen Hüpfer 2021 Äthiopien und Somalia heim. Entstehen können solche Katastrophen, wenn in einer Wüste wegen Regenfällen die Vegetation zu sprießen beginnt und sich damit Populationen punktuell explosionsartig vermehren. Beeeindruckend wird so ein Heuschreckenüberfall in Terrence Malicks Film Days of Heaven dargestellt. Innerhalb weniger Minuten verdunkelt sich der Himmel und vernichten Millionen der Tiere die Weizenernte eines ganzen Jahres. Nur mit einem Feuer kann die Plage bekämpft werden. Inferno wird mit Inferno niedergerungen. Womöglich ein Sinnbild zukünftiger Überlebenskämpfe. Tatsächlich werden Heuschreckenplagen vermehrt – wie so mancher Unbill – wegen des Klimawandels auftreten. Marc Ottiker

C

Crickets Auch Walther von der Vogelweide hatte seine bellizistische Phase. Er mahnte den Ritterstand, es mit dem Pflichtbewusstsein der Ameisen zu halten und tunlichst an den Kreuzzügen teilzunehmen, statt müßig „auf der Wiese mit den Grillen zu singen“ (➝ Vorsorge). Walthers Berufsstand gab in jüngerer Zeit so einigen Pop-Kapellen ihren Namen: The Troubadours in England oder Skaldowie nach den nordischen Skalden in Polen. Die Grille als sorglos fröhliche Musikantin gefiel dagegen Buddy Holly als Namensgeberin für seine erste Band: The Crickets (Die Grillen).

Ihr erstes Album (und Buddys einziges zu seinen Lebzeiten) wurde mit The Chirping Crickets (1957) betitelt. Zwölf Songs in 26 Minuten! Mitautor: Roy Orbison. Allesamt unzählbar oft gecovert. Not Fade Away zum Beispiel von den Rolling Stones. Crickets-Fans waren auch John, Paul, George and Ringo, die schließlich ihre Band Holly zu Ehren ebenfalls angelehnt an ein Insekt benannten. Grillenhaft sorglos performen die Crickets mit Frontmann Buddy Holly in der Ed Sullivan Show am 1. Dezember 1957 ihren Hit That’ll Be The Day (... when I die). Ein gutes Jahr später fällt die fröhliche Grille vom Himmel und stirbt am harten Erdboden. Michael Suckow

F

Fake News Hubert Aiwanger #hatessatt. Bayerns Vize-Ministerpräsident ist wütend, dass die Grille als Lebensmittel in der EU zugelassen ist, nur damit Veganer*innen ihr „tierisches Eiweiß“ bekommen. Verstehen Sie nicht? Nun, damit sind Sie nicht alleine. Etliche Kommentare weisen ihn darauf hin, dass ein vegan lebender Mensch tierisches Eiweiß weder konsumiert noch benötigt. Aiwangers Reaktion darauf: Was, wenn Veganer*innen jetzt ohne ihr Wissen Grillen verspeisen? Ich finde es ja beachtlich, dass er als Konservativer sich um die ethische Unversehrtheit der von ihm kritisierten „veganen In-Crowd“ bemüht. Ein Paradebeispiel für politische Toleranz. Die Antwort der EU-Kommission auf seinen Tweet, dass die Grille als Zutat deklarierungspflichtig ist und natürlich nicht einfach beigemischt wird, lässt er unkommentiert.Clara von Rauch

G

Grasshoppers Im August des Jahres 1886 gründete eine Handvoll junger Männer im Café Stäubli zu Zürich den Fußballklub Grasshoppers. Treibende Kraft hinter der exotischen Unternehmung – Fußball galt in der Schweiz als Randsportart – war der Engländer Tom E. Griffith, der zur Ausbildung in Zürich weilte und sein geliebtes „Soccer“ vermisste. Die ersten Wettkämpfe fanden auf einer öffentlichen Wiese gegen zumeist spontan zusammengewürfelte Mannschaften statt. Meilenweit vom heutigen Ausverkauf des Spiels entfernt war das. MO

H

Heimchen Dem Heimchen am Herde bescheinigte der Focus das größte Glück auf Erden. „Heimchen“ bedeutet „Grille“, diese wiederum „schrulliger Gedanke“. „Am zufriedensten mit der Ehe“, liest man, „sind Hausfrauen, deren allein verdienende Männer ihnen gegenüber emotionales Engagement zeigen.“ Ehrenamtlich sozusagen. Wer den grillenhaften Artikel verfasst hat, ist nicht ersichtlich – Frau? Mann? Divers? Eine Grille? Charles Dickens kann’s nicht gewesen sein, er schrieb schon 1845 die Novelle Heimchen am Herd. Darin wird auch viel geheiratet – und das Heimchen im Ofen bringt das Glück dazu. Von der Liebe wusste die mindestens zweimal verheiratete Ella Fitzgerald in The Cricket Song besser zu zirpen – ohne Alleinverdiener.Katharina Körting

R

Rilke Rainer Maria Rilke reimte häufig, manchmal gut, gelegentlich in parodistischer Absicht. In seinen späten Jahren las er in der Zeitung ein Gedicht von Franziska Stoecklin. Sie schrieb: „Willst du ein Kleid? Willst du ein Leid? Wir sind so schwer und doch zu leer.“ Rilke antwortete in Gegenstrophe: „Willst du ein Bad? Willst du Salat –? Wir sind so dumm, und doch nicht stumm.“ Ob eine parodistische Absicht hinter dem Gedicht „Abend hat mich müd gemacht, / und in meinen Sinnen schrillen / kleine Wünsche mit den Grillen. // Wo das blasse Land verflacht, / liegen lauter weiße Villen / hinter roter Rosenpracht. // Liegen wie auf leiser Wacht / weiße Villen an dem stillen // Uferrand der Frühlingsnacht“ steckt, soll an dieser Stelle offenbleiben. Der Vergleich von Wünschen mit schrillenden Grillen wird Naturliebende bezaubern, und auch wer sich sonst etwas sehnlich wünscht, kann sich gut vorstellen, wie die Wünsche sich im Innern ausdauernd wie Grillengezirp Gehör verschaffen und auf Befriedigung drängen.Beate Tröger

S

Schallwellenangriff Schwindel, Gedächtnisstörungen, Übelkeit: 2016 beklagten Mitarbeiter aus Kanada und den USA merkwürdige Geräusche in ihren diplomatischen Vertretungen auf Kuba. Rund 40 Personen waren betroffen, auch Hör- und Sehprobleme gehörten zu dem bald Havanna-Symptom genannten Phänomen. Setzte hier ein Geheimdienst eine Hightech-Waffe ein? Über Mikrowellen wurde spekuliert, viele glaubten an einen gezielten Angriff mit Schallwellen.

Zwei Biologen fanden einen natürlichen Ursprung der Töne: das laute Zirpen der Karibischen Kurzschwanz-Grille. Sie werteten eine Tonaufnahme aus und ihre Analyse passte auf das schrille, auf einer Frequenz von sieben Kilohertz liegende Geräusch. Nur konnte das nicht die teils massiven körperlichen Beeinträchtigungen erklären. ➝ Zirpen kann zwar nerven, aber dadurch ausgelöste Schäden sind unbekannt. Mittlerweile stehen Insektenvernichtungsmittel in Verdacht: Damals herrschte eine Gelbmückenplage auf Kuba. Die Grille lieferte die zufällige Begleitmusik.Tobias Prüwer

T

Tschechow Die Grille – so hieß 1955 ein sowjetischer Film nach Anton Tschechows Novelle Poprygunja. Dieses Wort hat keine eindeutige deutsche Entsprechung. Windbeutel hieß die erste Übersetzung 1897 und die englische 1908 The Grashopper. Irrwisch, Die Leichtbeschwingte, Springinsfeld, Flattergeist waren weitere Titel. Es geht um eine junge Frau, die – so beginnt der Film – in ihrer Wohnung eine wilde Party macht, mit anderen Männern flirtet und überhaupt nicht merkt, wie ihr Gatte müde und hungrig nach Hause kommt. Ein aufopferungsvoller Arzt, fast zehn Jahre älter – abgöttisch liebt er sie, doch seine Welt ist ihr fremd. Was sie fasziniert, ist das Künstlermilieu. Sie hintergeht ihn, nutzt ihn aus. Erst mit seinem frühen Tod (er hatte sich im Dienst mit Diphterie infiziert) begreift sie, was sie an ihm hatte. Eine psychologisch differenzierte Ehegeschichte, leider mit moralisierendem Schluss: Als ob es bloß eine „Grille“ wäre, die hier zur Debatte steht!

Allüre, Flause, Laune, Marotte – was hat man Frauen nicht alles nachgesagt, wenn sie mit tradierten Geschlechterrollen nicht zurechtkamen. Eine lebenshungrige 22-Jährige mit einem viel beschäftigten Ehemann: Von Hausarbeit war sie weitgehend frei (➝ Heimchen). Ein Beruf war für sie nicht vorgesehen. Sie langweilt sich, und der Künstler, in den sie sich vergafft, liebt sie nicht wirklich. Vergeblich hat sie für sich nach Lebenssinn gesucht und im Leichtsinn nur faden Ersatz gefunden.Irmtraud Gutschke

V

Vorsorge „Fiedeln oder Vorsorgen, Grille oder Ameise?“, fragt regelmäßig der Wirtschaftsteil. Denn das Bild ist herrlich moralisch. Während die Grille den ganzen Sommer müßig ihr Lied geigt, rackert sich die Ameise Vorräte anhäufend ab. Dann kommt der Winter und die hungrige Grille muss betteln gehen. Und je nach moralischer Vorliebe hält die Ameise einen belehrenden (➝ Anstandsdame) Vortrag, teilt ihre Rücklage aber – oder eben nicht. Beim altgriechischen Autor Äsop, der die Fabel zuerst überliefert, ist sie hartherzig gegenüber dem faulen Tier, das hier noch eine Heuschrecke ist.

Der französische Dichter Jean de La Fontaine verwandelt sie zur Grille. Auch Walt Disney übernimmt den wie für den kapitalistischen Traum gemachten Stoff für einen Kurzfilm. Es stirbt das faulenzende Tier beim russischen Fabeldichter Iwan Krylow, dessen Version ebenfalls als Zeichentrickfilm vorliegt. Im DDR-Kinderbuch Die lustige Grille erbarmen sich die Ameisen und laden sie in ihren Bau – um zu ihrer Fiedel zu tanzen.TP

Z

Zirpen Ein warmer Sommerabend an der Küste. Ein Zirpen schleicht sich an, breitet sich lautstark aus. Was zuerst lästig erscheint, hat irgendwann etwas Beruhigendes. In warmen Regionen handelt es sich jedoch nicht um Grillen, sondern Zikaden. Sokrates warnt im Phaidros-Dialog, sich nicht von den Geräuschen der über den Köpfen singenden Zikaden ermüden zu lassen. Er sagt, dass sie einmal Menschen waren, die durch ihren Gesang vergaßen, sich am Leben zu halten. Sie wurden zu Zikaden und bekamen die Aufgabe, zu singen, die Menschen zu beobachten und ihr Treiben weiterzutragen. Das Zirpen der Grille ist hingegen als Paarungsmelodie zu verstehen und dient banal der Fortpflanzung.Liz Jacobs

Lesen Sie mehr in der aktuellen Ausgabe des Freitag.

Musik | John Cage in Halberstadt: Der Vorverkauf für das Konzert in 617 Jahren läuft
5 Februar 2023 - Ralf Krämer
Musik | John Cage in Halberstadt: Der Vorverkauf für das Konzert in 617 Jahren läuft
In einer sonst verwaisten Kirche in Halberstadt soll am 4. September 2640 das längste Orgelstück der Welt ausklingen. Doch die Finanzierung des John-Cage-Projektes wackelt John Cage in Halberstadt: Der Vorverkauf für das Konzert in 617 Jahren läuft

Halberstadt ist laut Wikipedia vor allem für seinen „Dom und die Dosenwürstchen“ bekannt. Außergewöhnlich ist die sachsen-anhaltische Kreisstadt allerdings aufgrund ihres Veranstaltungskalenders. Hier soll am 4. September 2640 das längste Orgelstück der Welt ausklingen: ORGAN²/ASLSP von John Cage, auch As SLow aS Possible genannt. 1987 schrieb Cage sein Stück ASLSP von Klavier auf Orgel um.

Die titelgebende Anweisung, wonach das Stück so langsam wie möglich zu spielen sei, erhielt damit eine neue Dimension, denn eine Orgelpfeife ertönt so lange, wie Luft durch sie geblasen wird. Nach Cages Tod im Jahr 1992 entstand auf einer Tagung für neue Orgelmusik die Vision einer ultimativen Aufführung von ORGAN²/ASLSP: Ihre Dauer sollte sich an der Haltbarkeit des gespielten Instrumentes orientieren.

Dissonantes Flirren

Als Standort bot sich die verwaiste Kirche des ehemaligen Klosters St. Burchardi in Halberstadt an. 639 Jahre zuvor war im nahen Dom die wohl größte europäische Blockwerkorgel geweiht worden. Nach dem Motto: „Auf die nächsten 639 Jahre!“ begann man ORGAN²/ASLSP an Cages 88. Geburtstag, am 5. September 2001, und spielt es so langsam, dass es erst im Jahre 2640 enden wird. Angesichts mancher Plünderungen und Brände in der Geschichte des Klosters muss man dieses kühne Unterfangen wohl auch als Investition in eine friedliche Zukunft verstehen. Das Stück beginnt mit einer Pause; am 5. Februar 2003 wurden drei Pfeifen in die Orgel gesetzt, die ersten Töne erklangen. Seither hat sich der rituelle Klangwechsel zu einem Event mit vierstelligem Publikum entwickelt, sogar die New York Times berichtete.

Nun sind 20 Jahre vergangen. Anlass genug, um den aktuellen Klang vor Ort zu hören, um über Zeit an sich nachzudenken. Und wie das so ist, wenn man sich einmal auf ein Thema konzentriert, begegnet es einem überall. Im Zeitungskiosk im Bahnhof von Halberstadt fragt ein Herr: „Wie geht’s?“ Die Verkäuferin antwortet: „Ich sage ja immer, schlimmer kann’s nicht werden.“ Auf der Richard-Wagner-Straße Richtung Innenstadt lässt das stattliche Gebäude mit der Nummer 51 die Zeit auf ähnlich ambivalente Weise stillstehen. Allegorische Figuren in Stein flankieren das Portal. Als Bauern, Arbeiter und Wissenschaftler scheinen sie der Zukunft zugewandt; ein Musiker ist nicht dabei. Bis zur Wende war dies das Haus der SED-Kreisleitung. Dann kam das Finanzamt. Jetzt sitzt hier die Polizei.

Die Klosteranlage mit der Kirche und dem Cage-Haus, dem Sitz der John-Cage-Orgel-Stiftung, liegt nördlich des Zentrums. Zu einem Klangwechsel im Jahr 2008 war ich zum ersten Mal hier, habe in einem Video festgehalten, wie unter der Anleitung von Rainer O. Neugebauer der Orgel ein C und ein As hinzugefügt wurden, und es später auf myspace.com hochgeladen. Heute ist Myspace eine digitale Ruine, von dem Video existiert nur noch die Zeitleiste. Neugebauer ist immer noch da und schließt für mich die Kirche auf. Der 68-jährige Sozialwissenschaftler, Pädagoge und Historiker ist der künstlerische Leiter des Projektes. Mit seinem ergrauten Bart strahlt er die Autorität eines Abtes aus, in seiner leidenschaftlichen Art und fröhlichen Neugier erkennt man die Geistesverwandtschaft zu John Cage. In der Kirche wird erst einmal intuitiv gelauscht. Der Klang flirrt dissonant, aber weich, aufregend und beruhigend zugleich.

Beim Gang um die immer wieder verblüffend filigran wirkende Orgel kommt man ins Gespräch. Durch Patenschaften für die sogenannten Klangjahre und sonstige Spenden konnten die Kosten für den Unterhalt, für Workshops und Ausstellungen getragen werden. Der laufende Betrieb wird jedoch von einem kleinen Kreis von Enthusiasten ehrenamtlich geleistet. „Die Jüngeren stecken aber voll im Beruf und die Älteren werden nicht jünger“, gibt Neugebauer zu bedenken. In der Folge wurden bereits die Öffnungszeiten reduziert. Wer die Klangwechsel aus nächster Nähe erleben möchte, muss nun ein teures Ticket kaufen, ansonsten gehört der freie Eintritt unverändert zum Selbstverständnis des Projektes. Nach über 140.000 Besuchern und 20 Jahren sei es aber, so Neugebauer, „ernsthaft gefährdet“, wenn sich die öffentliche Hand nicht bald zu einer institutionellen Förderung bereit erklärt. 150.000 Euro jährlich, inklusive zweier halber Personalstellen, würden ausreichen. Als Vorbild dient Aschersleben. Dort, knapp 40 Kilometer entfernt, habe die Stadt der Grafikstiftung Neo Rauch zwei Stellen finanziert. „Wenn man nur will“, sagt Neugebauer, „geht doch einiges.“

Spätestens an dieser Stelle weicht die Kontemplation der schlichten Gleichung „Zeit ist Geld“ und damit dem Thema Kulturförderung. Neo Rauch ist in Aschersleben aufgewachsen. Wäre John Cage ein Halberstädter, würde es der Stadt wohl leichterfallen, das Orgel-Projekt finanziell abzusichern. Oberbürgermeister Daniel Szarata muss bei diesem Gedanken lachen, mag ihn aber nicht von der Hand weisen. Dann schwärmt der CDU-Politiker erst einmal durchs Telefon: „Bei jedem Klangwechsel machen Fans aus der ganzen Welt unsere Hotels voll und geben der Stadt so richtig internationales Flair.“ Andererseits sei das Cage-Projekt dann doch recht speziell und ohne weiteren regionalen Bezug. Das Stadtmarketing konzentriere sich daher auf den Domschatz. „Nur der Vatikan hat mehr Gold als wir“, erzählt Szarata stolz. „Das lässt sich natürlich besser vermitteln.“ Für eine institutionelle Förderung des Cage-Projektes verweist er auf höhere Stellen: „Es wird Zeit, dass sich auch das Land dazu bekennt – zumal das Projekt ja keine Unsummen verschlingt.“

Im zuständigen Landesausschuss befasste man sich im vergangenen Mai mit dem Cage-Projekt. Das Protokoll liest sich wie eine Sammlung unbekümmert verteidigter Widersprüche. „Ich bin ein großer Fan von Kultur, aber was nichts kostet, ist auch nichts wert“, kritisiert dort Alexander Räuscher (CDU) die Eintritts-Praxis des Cage-Projektes. Wenn er den angemeldeten Jahresbedarf über 640 Jahre auf 96 Millionen Euro hochrechnet, sieht er darin allerdings keinen Wert, sondern den Haushalt durch einen „Ewigkeitsvertrag“ belastet. Das Projekt werde zwar „wertgeschätzt“, wenn es um die Finanzierung geht, verweist man aber auf viele angeblich „ähnliche Projekte“, die dann ebenfalls gefördert werden müssten. Man möge doch, so Räuscher, „ernsthaft prüfen“, ob sich das Projekt durch „Vermarktung langfristig selber trägt“.

Mal nicht ans Handy denken

Wer den Wert des Cage-Projektes ernsthaft ermessen möchte, wäre wohl bei Philipp Schäffler an der richtigen Adresse. Der Musiklehrer am Christlichen Gymnasium Jena fährt mit seinen älteren Jahrgängen einmal im Jahr nach Halberstadt. „Im Haus der Stiftung werden Spaghetti gekocht. Wenn wir gestärkt sind, gebe ich eine kurze Einführung zu Cage und zum Projekt“, erzählt der 51-Jährige im Video-Gespräch. „Wenn es dunkel ist, gehen wir in die mit Teelichten spärlich erleuchtete Kirche. Kurz vorher sage ich dann: Es gibt eine einzige Regel: Nicht reden!“ Manche gehen nach zehn Minuten wieder raus, „andere bleiben mehrere Stunden, sitzen in der Ecke oder laufen rum, und lauschen“. Schäffler macht das mit seinen Klassen seit vielen Jahren. Wirklich verändert habe sich die Wirkung des Projektes seither nicht, auch nicht durch die sozialen Medien, die darauf abzielen, jeden Moment mit so vielen Reizen wie möglich zu füllen. „Mir sagen die Kinder immer wieder, dass sie da bewusst aussteigen können. Die denken dann gar nicht an ihr Handy, sondern über ganz grundlegende Dinge nach. Die Schülerinnen und Schüler des letzten Jahrgangs staunten: Das war total krass, man war in der Kirche isoliert, aber blieb trotzdem eine Gemeinschaft.“

Schäffler ist überzeugt: „Musik braucht einen guten Rahmen, eine gute Vermittlung.“ Auf der Homepage des Gymnasiums findet sich eine Galerie von „Klangbildern“. Sie sind in den Klassen 5 bis 12 entstanden und interpretieren das Cage-Projekt auf vielfältige Weise. Sie werden verkauft, der Erlös finanziert die Patenschaft der Schule für das „Klangjahr 2294“. Auf einem Bild erscheint ASLSP als Schriftzug im Graffiti-Stil. Darüber zerfließt eine Uhr; es ist zwanzig vor zwölf. In Halberstadt erzeugt die John-Cage-Orgel derweil unbeirrt weiter ihren Klang. In einem Jahr, am 5. Februar 2024, wird der nächste Ton, ein D, hinzukommen. Für das Abschlusskonzert in 617 Jahren hat der Vorverkauf bereits begonnen.

John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt Halberstadt, aslsp.org

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Klassenkampf | Was will die Feministische Ökonomie?
5 Februar 2023 - Lena Böllinger
Klassenkampf | Was will die Feministische Ökonomie?
Sorgearbeit wird immer noch größtenteils von Frauen gemacht oder an Frauen delegiert. Feministische Ökonominnen wollen, dass dies auch in der Gesamtwirtschaft gesehen wird Was will die Feministische Ökonomie?

Mr. Bell ist wütend. „Da gehst du hin und rechnest gegen kalte Dollar die Arbeit auf, die jedes anständige Mädchen glücklich ist, für seine Familie zu tun!“

Seine 21-jährige Tochter Diantha hat ihm soeben verkündet, dass sie ausziehen will. Nach all den Jahren, in denen er ihr Kleidung, Essen, Wohnen, Arztkosten, Schulmaterial und vieles mehr bezahlt hat, findet er das undankbar. Doch Diantha präsentiert ihrem Vater zwei Rechnungen. Auf der einen hat sie all seine Kosten aufgelistet. Die zweite Rechnung umfasst ihre Ausgaben für die Familie und vor allem all die Arbeit, die sie in den vergangenen Jahren unbezahlt geleistet hat, insbesondere Hausarbeit und die Pflege der kranken Mutter.

Diantha rechnet vor, was ihr Vater für eine Hausangestellte hätte bezahlen müssen. Unterm Strich ergibt die Rechnung: Der Vater schuldet der Tochter 547.00 Dollar. Unerhört!

Die Szene stammt aus Charlotte Perkins Gilmans Roman What Diantha did, der 1910 erschien. Charlotte Perkins Gilman, eine US-amerikanische Feministin, beschäftigte sich intensiv mit ökonomischen Fragen. Ihre frühe literarische Auseinandersetzung mit der unbezahlten Sorgearbeit ist visionär und zielt auf den Kern dessen, was sich heute Feministische Ökonomie nennt.

Es gibt weit mehr als Männer

Die Feministische Ökonomie setzt sich dafür ein, dass wir nicht nur an Banken, Autofabriken, agile BWL-Studenten und Gewerkschafter mit Schnauzbart denken, wenn wir über Wirtschaft nachdenken. Denn all diese Bilder beziehen sich nur auf die „unternehmensbezogene Marktökonomie“, wie Ulrike Knobloch, Professorin für Ökonomie und Gender an der Universität Vechta, das nennt.

Der Feministischen Ökonomie geht es darum, alle wirtschaftlichen Aktivitäten in den Blick zu bekommen – und nicht nur jenen kleinen Teil, der hauptsächlich die Arbeitswelt der Männer betrifft. Das klingt banal, stellt den Wirtschaftsbegriff, wie er sich im Laufe des Kapitalismus entwickelt hat, allerdings völlig auf den Kopf: Neben den Unternehmen taucht der private Haushalt als Produktionsort auf, neben der bezahlten Lohnarbeit wird die unbezahlte Hausarbeit sichtbar, neben der möglichst effizienten Produktion und Verteilung von Dingen geraten Fürsorge, Erziehung und Pflege als wirtschaftlich relevante Tätigkeiten mit eigener Logik in den Fokus.

Die Frage, was zur Wirtschaft zählt und was nicht, ist umkämpft und konflikthaft. Das zeigt sich bereits 1910 in Charlotte Perkin Gilmans Roman. Das zeigt sich erst recht einige Jahrzehnte später, in den 1970er Jahren, als Feministinnen mit der Losung „Lohn für Hausarbeit“ durch die Straßen zogen und die sogenannte Hausarbeitsdebatte lostraten. Es ging ihnen nicht um eine mickrige Herdprämie, sondern um den „Umsturz der Gesellschaft“, wie Mariarosa Dalla Costa, eine der Protagonistinnen der Kampagne, schrieb.

Ihre Begründung: Müssten die Kapitalisten das Gebären, Aufziehen, Versorgen, Lieben, Pflegen ihrer Angestellten und Arbeiter bezahlen, wäre das ein derart großer Angriff auf die Profite, dass der Kapitalismus zusammenbrechen würde. In den USA forderten Schwarze Frauen des Welfare Mothers Movement ebenfalls ökonomische Kompensation für ihre Arbeit.

Eine der Frauen brachte es wie folgt auf den Punkt: „Wenn die Regierung schlau wäre, würde sie […] uns einen anständigen Lohn für unsere Dienstleistungen bezahlen und dann erklären, dass die Wohlfahrtskrise überwunden ist, weil welfare mothers an die Arbeit gesetzt worden sind.“ Die Beschäftigung mit unbezahlter Arbeit und mit Sorgearbeit steht noch heute im Zentrum der Feministischen Ökonomie – auch wenn sich inzwischen einiges verändert hat. Es gibt heute eine offizielle Gleichstellungspolitik, und spezielle „Girls Days“ sollen junge Frauen gar für technische und naturwissenschaftliche Berufe begeistern. Das Heimchen am Herd und die sich aufopfernde Mutter gelten als ideologische Schreckgespenster von vorgestern. Demgegenüber liefert die Feministische Ökonomie unangenehme Zahlen: Die Ökonomin Christine Rudolf hat im Rahmen der Initiative #closeecondatagap mithilfe verschiedener Berechnungen nachgewiesen, dass trotz aller Gleichstellungsrhetorik das Problem der unbezahlten Arbeit und insbesondere der Sorgearbeit nach wie vor ungelöst ist.

Frauen arbeiten zwar eine Stunde mehr pro Woche als Männer, aber nur ein Drittel ihrer Arbeit ist bezahlt. Drei Viertel der Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen lassen sich damit erklären, dass Frauen einen Großteil ihrer Arbeit unbezahlt verrichten. Christine Rudolf hat auch ausgerechnet, wie viel die unbezahlte Arbeit der Frauen allein in Deutschland wert ist: 825 Milliarden Euro pro Jahr. Diese gigantische Summe übersteigt so manches Sondervermögen, um das in öffentlichen Diskussionen teils heftig gestritten wird. Den Wert der unbezahlten Arbeit der Frauen eignet sich die Gesellschaft hingegen stillschweigend an.

An Migrantinnen delegiert

Zugleich fehlt das Geld jenen Frauen, die als Alleinerziehende oder gealterte Mutter mit mickriger Rente verarmen. Um das Problem in den Griff zu bekommen, genügt es aus der Perspektive der Feministischen Ökonomie nicht, Frauen in gut bezahlte Managerpositionen zu hieven oder die unbezahlte Sorgearbeit einfach über den bezahlten Markt zu organisieren.

Denn auch wenn Frauen in Aufsichtsräten sitzen, muss irgendjemand die notwendige Haus- und Sorgearbeit übernehmen. Heute wird diese Arbeit oft an Migrantinnen delegiert, die Sorgelücken in ihren Herkunftsländern hinterlassen, die dort wiederum von Frauen aus noch ärmeren Ländern kompensiert werden.

Das Problem verschiebt sich so entlang des zwischenstaatlichen Armutsgefälles und der Sorgenotstand trifft am Ende aus globaler Perspektive die Ärmsten. Deutschland zählt zu den Ländern mit der höchsten Zahl osteuropäischer „Live-ins“. Das sind Arbeitsarrangements, bei denen die Sorgenden permanent bei den Sorgeempfangenden wohnen. Die Beschäftigungsverhältnisse sind extrem prekarisiert und dereguliert, die Arbeiterinnen oft isoliert und entrechtet. Auch der Markt kann hier kaum helfen: Zwar ist Sorgearbeit heute als Beruf und Lohnarbeit durchaus anerkannt, aber die Arbeitsbedingungen sind katastrophal und die Löhne mies.

Das ist kein Zufall. Die Ökonomin Mascha Madörin hat das zugrunde liegende Problem herausgearbeitet. Sie spricht von einem „Auseinanderdriften der Arbeitsproduktivitäten“ zwischen wertschöpfungsstarken und wertschöpfungsschwachen Sektoren: In wertschöpfungsstarken Sektoren wie in der Automobilindustrie lässt sich die Arbeitszeit verdichten, technische Innovationen können die Produktion beschleunigen oder Personal ersetzen.

All das senkt die Produktionskosten und erhöht letztlich den Profit. Im Gesundheits-, Pflege- und Erziehungssektor ist das nicht in gleichem Maße möglich, weil zwischenmenschliche Beziehungen im Zentrum stehen. Hier lässt sich nicht mal eben die Produktion ins Ausland verlagern oder die Bezugsperson durch eine Maschine ersetzen. Die Kosten scheinen daher im Vergleich zu anderen Sektoren ständig zu explodieren. Um sie dennoch zu drücken, spart man am Personal und an der Bezahlung der Arbeitenden. Die Konsequenzen sind bekannt: schlechte Versorgung in Pflegeheimen, Kitas und Krankenhäusern – und Burn-out und Armut der Sorgenden, weil niemand auf Dauer zu diesen Bedingungen arbeiten möchte. Aus Sicht der Feministischen Ökonomie ist es daher wichtig, den Sorge- und Versorgungssektor als eigenständigen Wirtschaftssektor zu berücksichtigen, anstatt ihn wie alle anderen Wirtschaftsbereiche mit dem buchhalterischen Blick zu betrachten.

Gefordert wird unter anderem eine Aufnahme der unbezahlten Arbeit in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und eine Berücksichtigung der Haushalte als Produktionsorte. Viele Anstrengungen richten sich nach wie vor auf die Frage, wie die Arbeit im Sorge- und Versorgungssektor so organisiert werden kann, dass ausreichend Zeit und Geld übrig bleibt. Das berührt gesellschaftliche Verteilungskonflikte und Klassenkämpfe, auch dort, wo das bis heute nicht explizit so genannt wird. Die derzeitige Personalnot in Pflegeeinrichtungen und Kitas, aber auch die extreme Überlastung von Müttern während der Lockdowns zeigen, wie akut die Themen sind.

Lena Böllinger besuchte für den Freitag zuletzt Deutschlands ältesten Frauenbuchladen in München (Ausgabe 02/2023)

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Literatur | Wie Rita eine Lolita erfindet: Ana Marwans Roman „Verpuppt“
4 Februar 2023 - Björn Hayer
Literatur | Wie Rita eine Lolita erfindet: Ana Marwans Roman „Verpuppt“
Wie literarischer Jazz liest sich der neue Roman „Verpuppt“ der Bachmann-Preisträgerin Ina Marwan. Aber was will sie uns sagen? Wie Rita eine Lolita erfindet: Ana Marwans Roman „Verpuppt“

Ein Studium der Literaturwissenschaft und Romanistik, erste Erfolge als Schriftstellerin und schließlich die Prämierung mit dem renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 – das klingt mehr als seriös. Aber blauäugig trauen darf man der 1980 in Slowenien geborenen und inzwischen in Österreich lebenden Autorin Ana Marwan nicht, wie ihr neuster Coup, der Roman Verpuppt, beweist. Denn während man zunächst ohne Hintergedanken eine schlichte Story über den Außenseiter und Einzelgänger Jež liest, manövriert einen die listige Erzählerin Rita unversehens aus dem Geschehen. Abgesetzt mittels kursiver Schrift, hebt sie uns in ihren Passagen auf eine Metaebene, auf der sie uns Einblicke in ihre Weise der manipulativen Geschichtenkonstruktion gewährt. „Manchmal füge ich etwas hinzu und erfinde etwas“, berichtet sie. Auch ein kindliches Spiel mit Namen und Rollen gehört zu ihrem kreativen Repertoire.

Dass dabei nicht nur wir auf das Glatteis geführt werden, sondern auch die Figuren ins Straucheln geraten, wird spätestens bei dem Eintritt der unzuverlässigen Illusionserzeugerin in ihre eigenen Geschichten deutlich. Mit ihrer „tausendschichtigen Seele“ zieht sie anfangs sämtliche Register nymphenhafter Verführung, um den um weibliche Aufmerksamkeit bemühten Jež in eine Lolita-Neuauflage zu verstricken. Wie er arbeitet sie angeblich im Ministerium für Verkehr und Raumfahrt, wo sie nach diesem lediglich angedeuteten Tête-à-Tête später noch allerlei anderen Unfug treibt. Ihre Chefin provoziert sie bis aufs Blut. Eine Kollegin stiftet sie zum nächtlichen Ausbruch durchs Fenster mittels Bettlaken an ...

Aber stopp, warum flüchtet jemand so aus einem Regierungsgebäude? Vielleicht weil auch diese Konstruktion erstunken und erlogen sein könnte. Es geht der Protagonistin in ihrem Fabulieren, wie sie betont, nur um „Suspense. Ich muss so erzählen, dass sie wissen wollen, was danach geschieht“. Mit „sie“, kleingeschrieben, sind nicht wir gemeint, sondern wahrscheinlich ... die Leiter einer Nervenheilanstalt. Diese Vermutung drängt sich mehr und mehr auf. Am Ende scheint nichts mehr gewiss zu sein. Weder können wir beurteilen, ob es irgendeine der Figuren gibt, noch ob Rita überhaupt Rita heißt.

Die Welt übers Knie legen

Viele Erklärungen könnte es für diese vielen Erschütterungen der Wahrheit, diesen „morastige(n) See“, geben. Aber was ist denn nun die Metaebene der Autorin Ana Marwan? Um was geht es ihr? Geht es ihr um die gesellschaftlichen Verwerfungen aufgrund der identitätspolitischen Grabenkämpfe, die wir seit Jahren erleben? Eine solche Gesellschaftskritik wäre die wohl anregendste Erklärung. Insbesondere „Unterschiede“ erregen Aufmerksamkeit, heißt es einmal im Text, „die noch nicht abgeschafft waren und an die wir uns klammern wie ein Betrunkener an den Zaun, denn in der Gesellschaft findet sich jeden Tag ein neuer Unterschied, den wir zuerst bemerken müssen, bevor wir so tun können, als gäbe es ihn nicht, und was wird aus uns, was wird aus der Menschheit, wenn sie sich durch nichts mehr stören lassen darf, sie wird von so viel aufgestautem Groll überlaufen wie eine überlastete Senkgrube“. Während die Gesellschaft also versucht, phänotypische Differenzen diskursiv zu beseitigen, um Diskriminierung zu vermeiden, sinnt Marwans Ich auf das bewusste Ausstellen von Vielfalt, quasi durch gezielte Realitätszerschlagung.

Einen Text auf diese Weise anzulegen, ist geistreich und zugleich wagemutig. Daher mag es auch nachvollziehbar sein, dass die Komposition Schwächen aufweist. So trägt die streckenweise maue Sprachästhetik jenseits der Jonglage mit Kalauern und Redewendungen dem ausgefuchsten Erzählverfahren kaum Rechnung. Hinzu kommt ausschweifendes Geplapper, mitunter über den Sinn und Unsinn von hartem Brot, die Angst vor Flecken oder Unterhosen, die auf dem Hintern Abdrücke hinterlassen. Andererseits: Zu viel Stringenz hätte nicht zu dem bunten Gestöber im Kopf der Heldin gepasst. Das ganze Chaos soll unsere eingefahrene Welt sozusagen übers Knie legen. Bilder dürfen hier gern einmal schief oder krumm sein, haben wir es doch mit einer sehr speziellen Form des Schreibens zu tun, die man am ehesten als literarischen Jazz bezeichnen dürfte.

Verpuppt Ana Marwan Otto Müller Verlag 2023, 220 S., 24 €

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