Aktion Seebrücke – eine Wasserstandmeldung aus Leipzig

600 engagierte Demonstranten vor der Universitätsbibliothek Albertina in Leipzig zum deutschlandweiten Aktionstag #Seebrücke
600 engagierte Demonstranten vor der Universitätsbibliothek Albertina in Leipzig zum deutschlandweiten Aktionstag #Seebrücke

Gegen Mittag des 7. Juli 2018 lief über den Nachrichten-Ticker, dass sich in Berlin über 12.000 Menschen an einer Demonstration der Aktion Seebrücke (https://seebruecke.org/wp/) für die Seenotrettung im Mittelmeer beteiligten. In den deutschen Städten Ulm, Lüchow, Greifswald, Hamburg, Wetzlar, Tübingen, München, Frankfurt am Main, Gießen, Heidelberg, Zwickau, Bremen, Hannover, Köln und in Leipzig waren Menschen auf der Straße, die gegen die Kriminalisierung der Rettung von Menschenleben auf dem Mittelmeer protestierten. Aus Malta gab es Grußbotschaften u.a. vom Kapitän der Lifeline, die im dortigen Hafen festgehalten wird. Das Credo von Kapitän Klaus-Peter Reisch ist: „Seenotrettung kann, darf kein Verbrechen sein!“ Er steht für diese Einstellung vor Gericht. Sein Schiff der Mission Lifeline (www.mission-lifeline.de) sitzt seit über einer Woche dort fest, weil u.a. ein deutscher Innenminister die Retter von Menschenleben zur Rechenschaft ziehen werde. Seehofer bezeichnete die Lifeline und andere Hilfsschiffe, die sich korrekt an die Anweisungen der koordinierenden italienischen Küstenwache halten, als „Shuttle“ zwischen Libyen und Südeuropa. „Wir müssen verhindern, dass es zu einem Präzedenzfall wird.“ So wird der deutsche Heimatmuseumsminister von verschiedenen Zeitungen und Online-Portalen zum Fall der Lifeline in Malta zitiert.

Gegen eine solche Geisteshaltung, die in praktische Politik umgesetzt wird, während auf dem Mittelmeer weiter Menschen ertrinken, erhoben sich die Bürgerinnen und Bürger in den Städten. Wenn Berlin nicht so ein Zeichen mit 12.000 Demonstranten gesetzt hätte, dann wäre auch diese Aktion wieder im medialen Nirvana untergegangen. In Leipzig waren es 600 vorwiegend junge Menschen, die sich zur Protestaktion „Cornern gegen Horst“ vor der Leipziger Albertina, der Universitätsbibliothek versammelten. Julian Scharf, der sich bei der Aktion Seebrücke im Mittelmeer vor Ort engagiert, hat mit den Fachschaftsräten Politikwissenschaften und Klassische Philologie und Romanistik der Universität Leipzig die Demo organisiert. Unterstützt wurde er von Juliane Nagel (https://jule.linxxnet.de/). Die Stadträtin und Landtagsabgeordnete der Linken kritisierte, dass sich der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig nicht für die Aktion Seebrücke engagiere.

Klaus Pohl, Pfarrer im Ruhestand und bald 70, meldete sich als einer der ersten spontanen Redner während der Leipziger Veranstaltung zu Wort und zeigte sich enttäuscht, dass seine Generation so in der Minderzahl vertreten war. In seinem Redebeitrag erwähnte er einen Brief, den er gemeinsam mit seiner Frau an die Bunderegierung schrieb. Er ermutigte die Teilnehmer der Kundgebung, es ihnen gleich zu tun und viele Briefe an die Regierung zu schreiben, um auf die humanitäre Schieflage aufmerksam zu machen:

„Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrte Damen und Herren Minister!

Mit wachsendem Unmut verfolgen wir schon seit längerer Zeit die Verschärfung des Asylrechts.

Inzwischen haben wir eher den Eindruck, dass Kriegsflüchtlinge und verfolgte Menschen aller Art eher vergrämt werden sollen, als dass Hilfe angeboten wird. Das verstößt nach unserer Meinung gegen den Artikel 1 unseres Grundgesetzes und auch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die als völkerrechtliche Regelung lt. Art.25 GG Vorrang vor nationalen und nationalistischen Regelungen hat.

Es verstärkt sich der Eindruck, dass besonders die Politik des Innenministers und der CSU auch keine Rücksicht mehr auf EU-Recht und das Recht der Einzelfallregelung nimmt, dass jedem Flüchtling garantiert wird. Die neuerliche ausdrückliche Zurückweisung jeglicher Hilfe für die aus dem Mittelmeer von einer deutschen Hilfsorganisation geretteten Menschen durch Minister Seehofer erinnert uns an die Abweisung geflüchteter Juden in der Nazizeit durch auswärtige Regierungen.

Wir vermissen jegliche Grundwerte der christlichen Nächstenliebe und Solidarität, wenn den Schwächsten Anteilnahme und Hilfe verweigert wird und obendrein zu deren Lasten ein eigensüchtiges politisches Kalkül verfolgt wird. Bei diesem politischen Sachstand Kreuze in Amtsstuben aufzuhängen ist grobe Heuchelei.

Mit freundlichen Grüßen E. Schubert-Pohl Pfrn i.R. K. Pohl Pfr. i.R.“

(Mit freundlicher Genehmigung von Klaus Pohl zum Veröffentlichung auf diesem und zum Teilen über diesen Blog www.leuchtturmleuchten.de)

Er als Christ schäme sich, so in unserem anschließenden Gespräch, dass diese beiden Regierungsparteien das Wort „Christlich“ in ihrem Namen führen. Es ginge hier um Menschenleben, die gerettet werden müssten. Dies sei ureigenste Aufgabe eines Christen. Es gäbe nach seiner Auffassung keine einfache Lösung für das Problem. Regierung und Medien haben die Flüchtlinge in den gesellschaftlichen Mittelpunkt gerückt, um den Rechtsaußen in dieser Republik zu gefallen. Aber die Abschiebepraxis und die Schließung der europäischen Außengrenzen und das Verbot der Rettung von Menschen auf dem Mittelmeer sind eben auch keine einfache, aber dafür eine populistische Lösung.

Was bleibt übrig von dieser Demo: Junge Menschen, die sich engagieren. Dort vor Ort auf den Schiffen der #Seebrücke, hier bei den Demos. Menschen mittleren und hohen Alters, die sich mit Demut vor den Rettern verneigen, die Hoffnung, dass, solange es 600 in Leipzig, 1.000 in Bremen, 2.000 in Hannover oder 12.000 in Berlin sind, wir den Mut nicht verlieren brauchen. Die Demonstranten geben den Schiffsbesatzungen die Kraft, weiter gegen alle Hetze im Netz und von der Regierungsbank das erste Menschenrecht, das Recht auf Leben, mit ihren Schiffen auf dem Mittelmeer zu verteidigen.