Wanderfestival
Es herbstelt. Nach wundervollen Sommerwochen, nähert sich dem deutschen Lande ein Tief mit Regen und kühleren Temperaturen. Es naht die Zeit, wo wir die Flipflops gegen die Wanderschuhe tauschen und durch Wald und Flur wandernd die bunten Farben des Herbstes genießen können. Erste Werbeschilder rufen zum gemeinschaftlichen Schritthalten durch die deutsche Heimat auf.
Leichtes Aufwärmtraining gab es am letzten Augusttag bei hitziger sommerlicher Abendstimmung im Messestädtchen Leipzig, dem 1000jährigen Jubilar.
Legida hatte aufgerufen zum Abendspaziergang, um sich für die ureigenen deutschen Kulturwerte einzusetzen. Der Ruf blieb nicht ungehört. Gut 700 Sportsfreunde wollten im vorgegebenen Takt den verbalen Vorturnern zur ersten Aufwärmrunde durch die Stadt folgen. Leichte Lockerungsbewegungen mit Mund, Faust und gestrecktem Mittelfinger an der schwarz verhangenen Bühne vor der Blechbüchse brachte das Wandervölkchen in Stimmung beim Warten auf den Wanderführer. Lutz hat eine Panne. So hieß es bald und nun musste das Stellvertreterteam des vom deutschen Automobil im Stichgelassenen den schwarz-weiß-roten und braune Wandertross anführen.
Vorbei an gar lustigen Gesellen, die sich für eine alternative Wanderstrecke entschieden hatten. Dem bunten Häufchen der gut 2.000 war die Richtung von Lutzes Spazierfreunden nicht so geheuer. Mit Trillerpfeifen, gelben Schildchen, bunten Bändern, Luftballons und prominenter Unterstützung suchten sie die Nähe zu den Sportkameraden hinter der Barriere aus Polizeimannschaftswagen. Wollten ihnen zurufen, dass sie in die falsche Richtung immer weiter in Richtung Abgrund gingen.
Der Oberbürgermeister der Universitätsstadt rief warnend durchs herbeigeholte Mikrofon, dass man den Umtrieben keinen Platz geben darf. Er zeigte sich erschüttert, dass die Kameradschaft auf der rechten Laufbahn keine fremden Mitglieder in die große Gemeinschaft aufnehmen möchte. Ja, dass ihre Anhänger bereit sind, mit Gewalt ihren Kameradschaftskreis gegen jede Verfremdung zu verteidigen. Man scheue nicht, mit einer Sprache des Dritten Reichs zu beeindrucken, zu propagandieren, gleichgesinnte, noch schweigende Mitläufer zu rekrutieren. Respektlos gegenüber Andersdenkenden und Menschen, die sich für einen anderen Weg entschieden hatten.
Raus aus dem Bild der Wanderung durch vermeintlich friedliche Gefilde wird man gerissen, wenn man die Bilder der letzten Tage vor Augen hat. Und doch passt das Bild. Es ist die größte Wanderung von Flüchtlingen seit dem zweiten Weltkrieg. Der ist 70 Jahre her und hatte heute, am 1. September 2015, vor 74 Jahren seinen vernichtenden Anfang gefunden. In dessen Ergebnis wurden 50 Millionen Menschen getötet. Fast 35.000 pro Tag. Unvorstellbar.
In dessen Ergebnis wurden Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Weil sie verfolgt und vertrieben wurden, weil sie kein Dach mehr über dem Kopf hatten, weil sie Hunger hatten, weil ihre Kinder keine Entwicklungschancen mehr hatten. Mindestens 14 Millionen verloren ihre Heimat. Es waren 2,5 Millionen Deutsche unter ihnen, die mit einem Handwagen und zerschlissener Kleidung Zuflucht suchten, fanden und eine neue Existenz aufbauten. Das neue Deutschland. Es sollte ein anderes Deutschland werden, von dem niemals mehr Krieg und Angst ausgehen sollte.
Derzeit scheinen jedoch die Früchte dieser Arbeit faulig zu werden, bevor sie reifen. Wanderkameraden pissen an den Baum, der die doch fast reifen Früchte trägt, von denen sie bisher selbst genussvoll ernährt worden sind. Alles nur, weil die Wanderer aus aktuellen Kriegs-, Krisen- und Armutsgebieten zu nah an den reichen Baum herangetreten waren. Sie wollen ihren Hunger stillen an dem reich bestückten Baum. Sie wollen sich stärken nach der langen Wanderung durch Wüsten und über Meere, bevor sie mit anpacken, weitere Bäume zu pflanzen. Auf dass der Wanderweg mit vielen früchtetragenden und schattenspenden Bäumen gesäumt wird. Es wäre eine schöne bunte Allee, die man Neues entdeckend gern entlang wandern könnte.
Welch eine BEREICHERUNG. Seid willkommen Flüchtlinge und habt keine Angst. Dafür standen die 2.000 gestern in Leipzig, am Sonntag über 5.000 in Dresden und gut 1.000 in Jamel sowie über 1.000 gestern in Wien auf der Straße. Seht, die Mutigen trauen sich, Euch zu helfen, dass Ihr einen sicheren Fuß auf diesen Flecken Erde setzen könnt.
Wenn es Euch bei uns gefällt, dann bleibt und bereichert uns mit Eurem Wissen, Eurer Kultur, Eurem handwerklichen Geschick. Wenn Euch das Heimweh drückt, dann kämpfen wir mit Euch, dass Waffenhandel, Lebensmittelspekulationen, Ausbeutung von Bodenschätzen ausgehend von unseren Mächtigen ein Ende findet. Wir sorgen mit Euch für faire Preise, dass Ihr davon mit Euren Familien in Eurer Heimat wieder menschenwürdig leben könnt.
Dafür lohnte es sich, laut, aber friedlich zu rufen gegen die Wandergesellschaft von Lutz und Konsorten, die den Weg der Rechtschaffenheit verlassen haben. Es gibt einen Weg zurück. Lasst uns auf dem Boden des Rechtstaates ohne Hass und Neid darüber reden. Denn niemand von den Menschen, die sich um Ex-Thomas-Pfarrer Christian Wolf, Prinzensänger Sebastian Krumbiegel, Sachsens DGB-Chef Erich Wolf und OBM Burkhard Jung, bekannten Professoren der Universitätsmedizin Leipzig versammelten, will ausgrenzen. Sondern lieber zusammenführen, was eint.
Doch solange, Menschen sich gegen andere Menschen wenden, werden nachfolgende Wanderprotokolle immer wieder geschrieben werden.
Ein Protokoll der Wanderung am 31. August 2015 durch einen kleinen, aber wichtigen Teil von Leipzig:
18:10 Nikolaikirchhof, los geht es #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #nolegida #nopegida #refugeeswelcome
18:19 Lückenspringer mit Beifall #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #leipzig
18:31 am Markt kommen Nordafrikaner hinzu #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #leipzig
18:35 Zwischenstopp und Dank für Teilnehmer mit Applaus #refugeeswelcome #nolegida #nopegida für friedliches #Leipzig
18:42 Höfe am Brühl schätze über 600 #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #Leipzig ist freundlich
18:45 Treffpunkt Hainspitze in Sichtweite der Gehirnflüchtlinge #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #Leipzig
18:46 @LVZ Pfarrer Wolff auf der „Willkommen in #Leipzig“-Demo: ‚Es sind mindestens 2000 die heute Nein sagen.‘ #nolegida
18:50 Christian Wolf mit positivenn Stimmungsbild #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #Leipzig
18:53 Vollbartleipziger Sebastian Krumbiegel mit positiver Botschaft #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #leipzig
18:55 Erich Wolf DGB-Chef danke an Demonstranten #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #leipzig
18:57 Bildnachtrag Wolf DGB #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #leipzig
19:00 @refugees_welcome_le 18.53 Lauter Protest an Naturkundemuseum und Gördelerring. Bei Legida ca. 100 Leute. #nolegida
19:06 OBM Burkhard Jung Danke für das Für eine friedliche Welt am Vorabend 1.9. #refugeeswelcome #nolegida #nopegida
19:08 OBM: Rassismus ist keine Weltanschauung sondern Verbrechen #Leipzig #refugeeswelcome #nolegida #nopegida
19:10 OBM: Wir haben in #sachsen ein rassistisches Problem #Leipzig #nolegida #nopegida #refugeeswelcome
19:11 OBM: Nazisprache hält Einzug in Alltag #Leipzig #refugeeswelcome #nolegida #nopegida
19:12 OBM: Die Vertriebenen sind wie ’45 Menschen, die in Schutz genommen werden müssen #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #leipzig
19:14 OBM: Wir haben Platz, lasst uns Kante zeigen #refugeeswelcome #nolegida #nopegida #leipzig
20:18 Runde Ecke Vorbeimarsch von Legida, sehr, zu viele #nolegida #nopegida #refugeeswekcome schade #leipzig
@stephan_poppe Hitziger Demotag geht zu Ende: Gehen aufgrund unserer Daten von 600-800 bei #Legida und mind. 2600 bei #NoLegida aus.
@welaie 2118 Ende. Im Fazit glaub ich sind die #besorgteBuerger mindestens so gefährlich wie der Nazi-Mob. :-/ #platznehmen #nolegida
Anschließend noch unschöne Szenen am Hauptbahnhof. Überforderte Polizei, aggressive Gidaisten, wütende Gegendemonstranten. Ein Mix, der wieder einmal nicht gut ging. Rangeleien, Pfefferspray, Bedrängnis, nichtpassende Wortgefechte von allen drei Seiten.
Fazit: Es waren wieder mehr Leipziger für etwas Positives, Menschenfreundliches, für ein Willkommen der Flüchtlinge auf der Straße. Aber, es waren zu wenige! Viel zu wenige! Dafür haben sich unter dem Eindruck der erstarkten Öffentlichkeit antidemokratischer Gesinnungsfreunde und von rassistischen Übergriffen auf Asylunterkünfte wieder viel mehr unter dem Banner des „Kaltlandes“ oder „Dunkeldeutschlands“ (Joachim Gauck, seines Zeichens Bundespräsident) auf Wanderschaft begeben.
Einige Nachbetrachtungen:
Pressemitteilung der Demonstrationsbeobachtung Leipzig zu den Protesten gegen LEGIDA am 03.08.2015
(Zum Verständnis, ich bin von den oben namentlich genannten Persönlichkeiten kein Fan, aber uns eint alle das gleiche Ziel: MENSCHLICHKEIT)