Zwischen Tausenden fröhlich tanzenden Menschen auf dem Leipziger Ring entdecke ich plötzlich einen alten Freund. In seiner orangefarbenen Ordnerweste begleitet er den Demonstrationszug. Seit Jahren leitet er mit Leidenschaft eine Kita. Tritt zudem unermüdlich für die Rechte der Queer-Community ein. Trotz aller Widerstände, die ihm auch in Leipzig immer wieder entgegenschlagen, strahlt er heute pure Freude aus. Dabei sein hätte ich heute auch sein sollen. Die Linke hatte mich angefragt, ihren Truck zu fahren. Es scheiterte an der Zulassung. Der LKW war zu groß. Umso mehr spüre ich die Bewunderung für die über 20.000 Menschen, die bei flirrenden 30 Grad Hitze durch Leipzig ziehen. Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen, sondern feiern, fordern, sichtbar sind. Sie tanzen, lachen, schwitzen, trinken Wasser, umarmen einander und zeigen: Wir sind viele. Wir bleiben hier.
Leipzig feiert die Vielfalt – und sendet ein unüberhörbares Signal
Leipzig stand in dieser Woche ganz im Zeichen des Christopher Street Day. Unter dem Motto „Wir bleiben hier!“ feierte die Stadt nicht nur eine bunte Parade, sondern eine ganze Festivalwoche voller Workshops, Diskussionen und Kultur. Dieses Motto hat tiefe Wurzeln: Es knüpft an die Friedliche Revolution 1989 an, als die Menschen in Ostdeutschland mit genau diesen Worten ihre Entschlossenheit bekundeten. Heute ist es das Mantra all jener, die sich gegen Ausgrenzung, Hass und Unterdrückung stellen.
Der große Demonstrationszug am Samstag war der Höhepunkt. Ab dem Augustusplatz zog eine endlose, pulsierende Welle aus Glitzer, Regenbogenfahnen, Trommeln und dröhnenden Beats durch die Innenstadt. Über 24 Initiativen, Unternehmen und Parteien beteiligten sich. Und nicht nur kleine Vereine, sondern auch große Namen, international agieren und den Drohgebärden eines Donald Trump und seiner Schergen trotzen, wie DHL, IKEA, PwC, auch die Leipziger Gruppe oder Porsche Leipzig präsentierten sich mit Trucks. Sie trugen mit Stolz die Regenbogenfahne durch die Straßen und setzen ein Zeichen. Selbst diese Konzerne, die oft für nüchterne Zahlen stehen, schickten ihre queeren Mitarbeitendengruppen, die deutlich machten: Vielfalt gehört auch ins Büro, in die Werkshalle, auf die Vorstandsetage.
Unter den beteiligten politischen Parteien überzeugte Die Linke mit einem bemerkenswert kraftvollen Auftritt. Die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Heidi Reichinnek, sprach mit Klarheit und Schärfe: „Eure Existenz ist politisch, weil ihr in einer Gesellschaft lebt, die euch am liebsten unsichtbar machen würde.“ Diese Worte waren ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich an die morschen Herrschaftssysteme „alter weißer Männer“ klammern – diese Kreise, die glauben, sie könnten mit mittelalterlichen Machtphantasien die Vielfalt unserer Gesellschaft unterdrücken.
Hass, Machtphantasien und der verzweifelte Griff nach dem Konservatismus
Während die Woche in Leipzig und anderswo gefeiert und demonstriert wurde, kam aus Berlin das Gegenprogramm: Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verbot das Hissen der Regenbogenflagge über dem Reichstag zum CSD – ein Symbol der Solidarität, das in den letzten Jahren selbstverständlich war. Diese Entscheidung wirkt wie ein kleinerer, aber nicht minder perfider Versuch, eine längst gelebte gesellschaftliche Realität zurückzudrängen. Klöckner und ihre konservativen Mitstreiter aus der Regierung Merz und der Fraktion um Spahn zeigen damit offen, dass sie bereit sind, den Rechtsruck zu befördern, statt ihn zu bekämpfen. Sie halten an einem Weltbild fest, das vor allem eines schützt: ihre eigene Macht, ihre überkommenen Werte, ihre festgefahrene Ordnung.
Fast zur gleichen Zeit entschied jedoch das Verwaltungsgericht Berlin, dass die Pride-Flag an Schulen völlig rechtmäßig ist – ein kleiner Sieg der Vernunft, der zeigt: Wer Vielfalt verbieten will, steht mit einem Bein im finsteren Mittelalter. Eine klare Ansage gegen die Parlamentspräsidentin.
Diese rückwärtsgewandten Kräfte sind nicht nur eine lästige Randerscheinung. Sie gefährden aktiv das gesellschaftliche Klima, stützen rechte Gewalt, nähren ein Klima des Hasses und schaffen so einen fruchtbaren Boden für verbale und physische Angriffe auf queere Menschen. Rechtsextreme Übergriffe gegen queere Menschen nehmen massiv zu. Tagesschau und Tagesspiegel meldeten im Mai 2025 Rekordzahlen politisch motivierter Straftaten im Jahr 2024 – darunter einen drastischen Anstieg von rund 40 % bei queerfeindlichen Übergriffen. Schönebeck, Bad Freienwalde, Pirna, Stendal … Diese Gewalt ist kein Zufall, sondern das direkte Ergebnis einer gefährlichen Hetze, die in den Parlamenten beginnt und auf der Straße eskaliert.
Budapest, München, Leipzig … sind Leuchtfeuer der Hoffnung
Doch Budapest antwortet am Samstag trotz Verbots der rechtsextremen Orban-Regierung aus 200.000 Kehlen lautstark. Doch München feiert am Samstag mit 250.000 Menschen die Vielfalt. Doch Leipzig antwortet mit 20.000 Stimmen lautstark. Der CSD war und ist ein leuchtender Gegenentwurf: Hier stehen queere Menschen, Allies, Familien, Unternehmen, linke Politikerinnen und Bürgerinnen Seite an Seite. Sie singen, tanzen, feiern – und zeigen damit, wie eine Gesellschaft aussehen kann, die niemanden ausschließt.
Wie die Philosophin Judith Butler sinngemäß träumte, dass Queer sein nicht nur ein Anspruch auf Rechte sei, sondern es ist auch die Forderung, gesellschaftliche Normen grundlegend infrage zu stellen.
In Budapest, München, Leipzig und anderswo konnte man diesen Traum am Samstag fast greifen. Es war ein Tag, an dem sich diese Städte und ihre Gäste daran erinnerten: Menschsein muss reichen. Für Respekt, für Rechte, für das ganz normale, selbstbestimmte Leben.
Von diesen europäischen Städten aus geht ein unüberhörbares Signal: Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir stehen auf gegen jene, die Mauern bauen wollen. Wir tanzen über die Grenzen hinweg, die man uns aufzwingen will. Wir fordern ein Land, einen Kontinent, eine Welt, in der Freiheit, Würde und Gleichberechtigung nicht verhandelbar sind.
Mensch sein — 365 Tage, und an einem ganz besonders
Der CSD Leipzig 2025 war kein harmloses Straßenfest, sondern ein fröhlicher, wütender, liebevoller und hochpolitischer Aufstand gegen die ewig Gestrigen. Leipzig hat gezeigt, was passiert, wenn eine Stadt geschlossen sagt: „Wir bleiben hier. Und wir lassen keinen zurück.“
Diese Energie müssen wir bewahren — nicht nur an diesem einen Tag, sondern 365 Tage im Jahr. Denn nur so verhindern wir, dass mittelalterliche, rechte und konservative Macht- und Gewaltphantasien wieder Oberhand gewinnen. Nur so bauen wir eine Gesellschaft, in der wir alle einfach das sein können, was wir sind: Menschen.
Quellen:
https://csd-leipzig.de/csd-2025
https://www.facebook.com/share/r/1EtcNPibD3
https://www.zeit.de/news/2025-06/28/wir-bleiben-hier-viele-tausend-menschen-beim-csd-leipzig
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ungarn-budapest-pride-parade-100.html
https://www.zdfheute.de/politik/csd-bundestag-regenbogenfahne-kloeckner-100.html
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/csd-queer-bedrohung-100.html;
https://de.wikipedia.org/wiki/Judith_Butler
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