Zu Gast bei der 100jährigen Palucca

Gastspiel der Palucca Hochschule für Tanz Dresden in der Oper Leipzig 

Ein Jahrhundert Tanzpädagogik, Körperdisziplin und künstlerische Freiheit – das Jubiläum der Palucca Hochschule für Tanz Dresden ist mehr als ein nostalgisches Innehalten. Es ist ein Statement. Am 24. Juni 2025 gastierte die traditionsreiche Ausbildungsstätte in der Oper Leipzig – einem Haus, das wie kein zweites in Sachsen für Musiktheaterkultur steht. Die Verbindung war klug gewählt: Bühne trifft Bewegung, Geschichte trifft Gegenwart, Institution trifft Nachwuchs. 

In einem rund zweistündigen Programm bot die Nachwuchscompany der Hochschule Einblicke in ihr Selbstverständnis – als Akademie, als Labor, als künstlerische Werkstatt. Es war ein klug kuratierter Abend: keine Jubiläumsgala im herkömmlichen Sinne, sondern eine Abfolge von Werken, die die Vielfalt des aktuellen tänzerischen Repertoires wie auch die individuellen Handschriften der Studierenden sichtbar machten. 

Eröffnung mit Klassik, Weiterführung mit Konzept 

Den Auftakt bildete eine Szene aus Tschaikowskys „Dornröschen“, choreografiert von Aaron S. Watkin nach Marius Petipa. Hier zeigte sich die klassische Linie der Ausbildung – präzise Technik, hohe Disziplin, orchestrale Harmonie in der Gruppenführung. Doch dabei blieb es nicht. Mit Antonio Ferrantes „The Weight of Emptiness“ und Dan Datcus „Between Hammers“ wurde die Bühne zum Resonanzraum für existenzielle Spannungen und körperliche Widersprüche. Letzteres, getanzt von der Nachwuchsförderklasse, beeindruckte mit Dynamik und innerer Dringlichkeit – ein selten überzeugender Ausdruck jugendlicher Wachsamkeit. Antonio Ferrantes „The Weight of Emptiness“ hingegen sorgte mit seinem Duett für eine Spannung zwischen zwei Körpern, einem Stuhl und einer wechselnden Lichtinterpretation. Erinnerte an den tanzenden Nijinsky hier in einer Doppelrolle.  

Starke Bachelorarbeiten, fragile Momente 

Zu den Momenten des Abends, die eher auch einmal ein Fragezeichen aufwarfen, zählte die Bachelorarbeit „Cut My Hair“ von Frida Stenvall – ein intimes, beinahe meditatives Duett, das sich auf sensible Weise zwischen Identität und Transformation bewegte. „Lines We Cross“ von Anna Krasnikova überzeugte dagegen wieder mehr: Die Musik von Bach traf auf pointierte Bewegungssprache, die sowohl Disziplin als auch Bruch zeigte – ein Stück, das ahnen lässt, wohin sich die nächste Generation bewegt. 

Improvisation als Konzept kam mit „Eine Sekunde Leichtigkeit“ auf die Bühne – getragen vom sensiblen Klangraum Schumanns und unterlegt mit elektronischem Rauschen. Es war eine ruhige, fast fragile Szene, in der der menschliche Körper in seiner Verletzlichkeit, aber auch in seiner ästhetischen Kraft, unterbrochen von im Ballett untypischen Texteinlagen eines Tänzers, zur Geltung kam. Hier wurde experimentiert und das ist den Tänzer:innen und der professionellen Choreographin, Prof. Katharina Christl, hoch anzurechnen, auch wenn die titulierte Leichtigkeit an manchen Stellen fehlte und auch Fahnentuch schwingende Elev:innen mehr als nur symbolisch daherkamen.  

Finale mit Haltung 

Nach weiteren Höhepunkten – etwa Gábor Halászs Corporal Madrigal und dem düsteren If I Could Start Again von Rita Aozane Bilibio – beschloss das Ensemble den Abend mit Claudio Cangialosis „Rabbit“. Dieses Stück war weniger Kaninchenbau als Bewegungsgewitter: popkulturell grundiert, energetisch aufgeladen, körperlich fordernd – eine Choreografie, die gleichermaßen von der Kraft des Augenblicks wie vom langen Atem tänzerischer Reife zeugte. 

In zehn Sätzen 100 Jahre Tanzgeschichte 

Die Palucca Hochschule hat an diesem Abend nicht nur getanzt, sondern Haltung gezeigt. Haltung zur Geschichte, zur Gegenwart, zum eigenen Anspruch. Sie hat nicht versucht, sich als Marke zu inszenieren, sondern als Schule, die im besten Sinne des Wortes bildet. Dabei wurde deutlich, dass die Stärke der Institution nicht im Glanz einzelner Soli liegt, sondern in der Vielfalt und Tiefe ihrer Ausbildung. Die choreografischen Handschriften reichten von klassisch über konzeptuell bis hin zu performativ experimentell – ein Spektrum, das überzeugt. Beeindruckend war zudem die spürbare Ernsthaftigkeit der jungen Tänzer:innen. Keine Pose, kein Pathos – sondern Präsenz, Präzision, Persönlichkeit. Der Abend war ein Geschenk für die Zuschauer:innen – und eine Verstätigung für die Institution. Denn wer im 100. Jahr so auftritt, blickt nicht nur zurück, sondern vor allem voraus. Die Zukunft der Palucca Hochschule? In Bewegung. Ganz im Sinne Gret Paluccas. 

Umso bedauerlicher, dass das Leipziger Publikum den Opernsaal nicht restlos füllen konnte/wollte. War es wegen der noch nicht ausgewiesenen Reputation der jungen Tänzer:innen? War es, weil es Dresden war? Oder war es, weil die großen Namen der Ballettkunst dem verwöhnten Publikum fehlten? International besetzt war die Company der Jubiläumsschule allemal – trotz und wegen ihrer Herkunft aus Dresden. Hochkarätig allemal, wenn es mit Auftritten auf den Bühnen in Dresden, Halle (Saale) sowie Berlin und erst recht Leipzig für die Ausbildungsreife der Elev:innen vergleicht. Und genau deshalb haben die Tanzbegeisterten Leipziger:innen vielleicht einen künftigen Neumeier oder eine herausragende Palucca an diesem Abend verpasst.  

Und so galt die Verbeugung der Tänzer:innen ihnen selbst. Begleitet vom Johlen und langanhaltenden Applaus aus dem vorwiegend jugendlichen Publikum. Glückwunsch.  


Hinweis auf die Nutzung von KI

Für die Analyse von Dokumenten und für die Recherche der entsprechenden Literatur wurde künstliche Intelligenz genutzt (ChatGPT).