Denkanstoß des Tages – Demokratiefest kaschiert Versäumnisse

Schön, dass sich mehr als 10 Tausend Leipzigerinnen und Leipziger (https://www.lvz.de/lokales/leipzig/hand-in-hand-grossdemo-zieht-ueber-den-leipziger-ring-FQSGCA6QMRFXRO4X4H7KTPB4XE.htmlUpdate nach Hinweis von Herderpark, 30.08.2024) zu einem bunten Demokratiefest eine Woche vor der Wahl in der Innenstadt trafen. Gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern feierten sie die Vielfalt der Gesellschaft. Beschwören ihre Mehrheit für ein friedliches Zusammenleben und Meinungsfreiheit aller in Leipzig und in Sachsen. Ließen Politikerinnen und Politiker ihre mahnenden Reden halten, die vor einem drohenden Faschismus beim befürchteten „Machtwechsel“ am 1. September warnten. Die angenommene Mehrheit der Stadt wog sich im Glauben der Selbstbestätigung ihres politischen Willens, dies sieben Tage vor der Landtagswahl in Sachsen noch zu verhindern.

Soweit die subjektive Zusammenfassung der Demonstration „Hand in Hand – Für Demokratie und Menschenrechte“ (https://handinhandleipzig.de/). Und nein, ich habe mich dagegen entschieden, dabei zu sein. Der Grund ist einfach.

Im Januar noch trafen sich 30 Tausend in der Leipziger Innenstadt und traten gegen die rechten Fantasien ihre Sohlen in den Asphalt der Stadt. Monate zuvor waren am Wannsee Faschisten zusammengekommen, um über Remigration zu palavern. In der Nähe des Ortes, wo über die Vernichtung der Juden entscheidende Weichen durch Nazis und Teilen der bürgerlichen Verwaltungselite zu entscheiden. Wir kennen das Ergebnis der Konferenz am Lehnitzsee nicht unweit der Tagungsstätte der Wannsee-Konferenz. Und wir haben die Demonstrationen in den Wochen nach dem Bekanntwerden der Recherchen von Correktiv (https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/) noch bewundern vor Augen. Es gehört aber bei der Betrachtung der Parallelität der Ereignisse dazu, dass rechte Anwälte teilweise erfolgreich gegen die Berichterstattung von Correktiv vorgehen könnten (https://taz.de/Potsdamer-Remigrations-Treffen/!5992120/). Er ist auch ein Teil des Demokratieverständnisses in diesem heutigen Deutschland, dass Anfang März 2024 keine gezielten Demonstrationen mehr in dieser Republik stattfanden, die eine Mehrheitsgesellschaft getragen hätte. Es spielt meiner Abneigung gegen staatlich geduldete Demokratiefest auch in die Hand, dass im Januar in Leipzig die Schi­cki­mi­cki hiesigen Verwaltungselite mit vorgefertigten Winkelementen in Sichtweite ihres Chefs, Oberbürgermeister Burghardt Jung, auf dem Marktplatz die Massen auffüllten. Ja, der gleiche OB, der noch Monate zuvor den quasi Marschbefehl für die Polizei gegen eine Antifademo mit seinem Versammlung- und Demonstrationsverbot gab. Der gleiche Mann, der das Hufeisen zwischen Rechten und Linken in seinem Sprachgebrauch führt.

Fast zeitgleich, in Bezug auf das Wahlgeschehen, dürfen behördliche genehmigt beim CSD rechte Schlägertruppen auf dem Leipziger Hauptbahnhof aufmarschieren. Ein Pimpf marschiert mit Hitlergruß unbehelligt über den Augustusplatz. Am Demotag selbst grölen Hooligans am besagten Augustusplatz aus der Straßenbahn rechte und menschenverachtende Parolen. Im Internet feiern die ewig Gestrigen ihr Hetzfest auf den Attentäter von Solingen.

Der Ministerpräsident grummelt von Wahlplakaten seit Wochen „Ordnung durchsetzen“. Was hat die CDU in ihrer Regierungszeit seit 1990 getan?

Das BSW spaltet sich als Alternative zur Alternative von Links ab und verspricht – neben dem wichtigen Thema Frieden schaffen in der Ukraine – Lösungen in der Ausländerfrage. Nicht alle dürfen kommen. Man dürfe die Deutschen nicht überfordern.

In dieser Atmosphäre und unter scheinheiligen Politikerinnen und Politikern findet eine Demo gegen Rechts statt. Eine Woche, bevor sich Wahlprognosen in Gewissheit verwandeln werden. Eine Woche bevor der „Machtwechsel“ in einem Land, wo das sich einmal „Nie WIEDER“ in die Verfassung hätte schreiben müssen, vollzogen werden könnte. Bevor die Horden von Schlag- und Tötungsbereiten ihre Masken fallen lassen werden. Bevor sie beginnend in ihren braunen Hochburgen um Bautzen, die im Erzgebirge, im Elbsandsteingebirge in Nordsachsen durch die Straßen ziehen werden und in ihren schwarzen Uniformen alles niederschreiben und -knüppeln werden, um die was sich ihnen und ihrer Ideologie des Hasses in den Weg stellen wird.

Die Saat ist fruchtbar noch, hieß es und wir sehen die Früchte der gescheiterten kapitalistischen Politik, die nichts mit Demokratie – und der Macht des Volkes – und zu tun hat.

Alles passt zusammen: Rostock Lichtenhagen, Mölln, Kassel, Hanau, Halle (Saale) oder die über 1000 rechts motivierten Angriffe auf Gedenkstätten (https://www.deutschlandfunk.de/seit-2019-mehr-als-1-000-faelle-als-rechts-eingestufter-politisch-motivierter-kriminalitaet-102.html) … Anschläge mit rechten und hassgesteuerten Hintergründen (https://www.dw.com/de/chronologie-rechte-gewalt-in-deutschland/a-49251032 und diese Erhebung der Deutschen Welle ist aus dem Jahr 2023. Seither ist mehr geschehen und Dunkelziffern aufgrund unzureichender Polizei und Justizarbeit bleiben in den Statistiken unerfasst und bedürfen der Aufklärung).

Wer die Zusammenhänge nicht erkennen möchte oder kann, ist mit Ignoranz gegenüber rechtem Terror oder der Arroganz politischer Unwilligkeit bzw. anders gesteuerten Machtinteressen ausgestattet. Hinzukommen die vielen Tausenden, die sich mit dem Kopf im Konsumsand der kapitalistischen Wohlstandswüste mal glücklich über das nächste Schnäppchen oder unzufrieden mit den übermäßigen Zuwendungen an die „Ausländer“ durch ihr Leben treiben lassen.

Die Gründe für das Entstehen der rechten Machtinteressen und der rechten Gewalt liegen in den vorgenannten persönlichen Lebensinteressen, dem Scheitern eines Modells des Aufbaus einer gerechteren Gesellschaft (gescheitert an den individuellen Fehlern von Menschen, die sich zu systemimmanenten Fehlentwicklungen ausprägten), dem geschickten Vertuschen tatsächlicher gesellschaftlicher Probleme (fehlende Kitaplätze, fehlende Bildungsgerechtigkeit, fehlende Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, fehlende Umweltgerechtigkeit, fehlende Steuergerechtigkeit … und letztlich fehlende Finanzen, um Bildung von klein auf, um Gesundheit, Sport, Kultur und sozialen Wohlstand für alle bezahlen zu können) …

Das kapitalistische System ist gescheitert. Das zeigt sich in der Unzufriedenheit der Gesellschaft hierzulande und dem Entstehen des Faschismus. Es zeigt sich aber auch weltweit durch Krisen, Kriege, Konflikte, Umweltkatastrophen. Alternativen sind nicht gewünscht, weil sie bei den einen auf Verzicht an Luxus und ungerechtfertigtem Wohlstand setzen müssen, bei den anderen auf Verzicht von Wohlstandsfantasien oder wiederum ein Mindestmaß an Bildung voraussetzt, das klares und logisches Denken ermöglicht.

Doch zurück zum Anfang. Während man sich in der Leipziger City selbst feiert und auf die Schultern des vermeintlichen Mehrseins im Geiste des wohlfeilen kapitalistischen Demokratieverständnisses klopft, treiben die Rechten offen ihr Spiel mit dem Hass und Lachen angesichts der Wenigen, die sich auf den Straßen gegen den Trend des entstehenden Faschismus stellen. Auch wenn es 20 Tausend wären, so sind es gerade einmal knapp 30 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner der Universitätsstadt. Es zeigt, dass die sich selbst ausrufende Mehrheit nicht ausreichen wird, um dem Faschismus in Deutschland entgegenzutreten. Steinmeier, unser aller Bundespräsident, meinte dazu auch nur bei seinem Besuch im ostdeutschen Stendal: „Für mich gilt der Satz: Die Erreichbaren erreichen.“ (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/steinmeier-stendal-100.html) Und die anderen? Die lassen wir rechts liegen: die rechten Hooligans, die Schlägertruppen vom Leipziger Hauptbahnhof am CSD (https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/csd-proteste-100.html), den Hitlergruß zeigenden jungen Mann auf dem Augustusplatz*, die grölenden Horden vor den Asylbewerberlagern*, die Hetzer im Netz*? Wir geben sie auf, weil wir sie mit Demos gegen Rechts nicht mehr erreichen? Wir schließen sie aus, weil sie mit dieser am Kapital orientierten Demokratie an den Rand der Gesellschaft gedrückt wurden? Wir haben die Geduld verloren, rechten Ideologen den Kopf mit Wissen zu waschen, ob mit oder ohne Haare? Aber, wir geben ihnen weiterhin die öffentliche Bühne in Funk, Fernsehen und allen anderen Medien für ihre demokratiefeindlichen Argumente?

Was spielt es noch für eine Rolle, ob 20 Tausend in Leipzig oder eine halbe Million in ganz Deutschland? Die Wahlen werden zeigen, wohin das Meinungsbarometer ausschlagen wird, um die Versäumnisse in der Gestaltung einer wirklich demokratischen Gesellschaft aufzuholen. Meine Aussicht darauf ist eher pessimistisch, denn leider sind wir nicht die Mehrheit, die sich gegen rechte Abschiebefantasien stellt. Nicht die Mehrheit, die menschenverachtende Sozialneiddebatten schürt. Nicht die Mehrheit, die demagogischen Kapitalwahnpropaganda ablehnt. Nicht die Mehrheit, die sich für eine friedliche und gerechte Gesellschaft in der BRD, in Euro und der ganzen Welt einsetzt, dass wir Demos wie am letzten Wochenende eigentlich gar nicht mehr bräuchten.

* Hierzu gibt es genug Quellen im Internet, die den Fall belegen, daher verzichte ich hier auf eine Darstellung

Update 30.08.2024: Es hat am Rand der Demo nicht nur rechte Provokationen von Hooligans des parallel stattgefunden Fußballspiels von Lok Leipzig gegen den HFC Halle am Augustusplatz gegeben, sondern wieder einmal Hass gegen Israel.