
Campact, „eine Bürgerbewegung, mit der 1,9 Millionen Menschen für progressive Politik streiten“, hat eine Nachleseanalyse zur Bundestagswahl veröffentlicht: https://blog.campact.de/2017/09/bundestagswahl2017
Da die Kommentarspalten von Campact zu klein bemessen sind für meine Gedanken, folgt hier meine Antwort auf die Analyse:
Lieber Christoph Bautz und Felix Kolb,
danke für die ersten analysierenden Gedanken zum Ausgang der Bundestagswahl 2017. Ich bin im Zweifel, ob ich schreibe, dass ich viele Positionen mittragen könnte.
Vielleicht noch in der Analyse des Wahlerfolgs der AFD. Wobei dieser in engem Zusammenhang mit den beiden weiteren Punkten steht.
Jamaika kann keine Alternative zum bisherigen System sein. Wohin sollen sich die Grünen noch verbiegen, um „wenigstens“ ihre Umweltinteressen in kleinen von den anderen genehmigten Ansätzen durchzusetzen? Nach Kriegsbeteiligung und Agenda 2010 Zustimmung sowie Mercedes-Lobbyismus sollten sich die Grünen endlich wieder ihrer Wurzeln besinnen. Wie sagte es gestern im Interview auf Radio Blau in Leipzig ein Politikwissenschaftler aus Halle, dass man bei den Grünen schon nicht mehr von Links reden könne.
Die SPD hat mit ihrem NEIN zur GROKO seit 1913 das erste Mal wieder Rückgrat gezeigt. Wenn sie dabeibliebe, dann Hut ab und eine tiefe Verbeugung. Es bleibt jedoch ohne Erneuerungsprozess weiterhin eine Lobbypartei der Industrie. Für die arbeitenden Menschen fehlen Konzepte für soziale Gerechtigkeit, Bildung, Rente, Pflege und Gesundheit. Dafür hatten die Genossen der Nach-Schröder-Ära genug Zeit, um diese zu entwickeln und – hier mein entscheidender Einwand – sich mit den Linken im Land und der Linken sowie dem linken Teil der Grünen auf einen gemeinsamen Konsens zu einigen. Vielleicht nutzt die SPD die Zeit jetzt, nach der Erfahrung dieser Wahlschlappe, um sich mit neuen Köpfen an eine Koalition der fortschrittlich kritischen Menschen zu wagen. Jeremy Corbyn und Bernie Sanders sind nicht unbedingt Vorbilder für die deutsche Sozialdemokratie. In beiden Ländern fehlt es an wirklichen linken Alternativen. Daher können sie dort jeweils nur ein lockerer Ansatz für sozialere Veränderungen sein. Beide gehören Lobbyparteien an, die auch nur das herrschende System mit „Reförmchen“ etwas sozialer gestalten wollen, um den Volkszorn zu beruhigen. Aber, immerhin soll es sozialer werden in ihren Augen. Das sind kleine Schritte hin zu einer sozial gerechten Gesellschaft.
Und anschließend fehlt mir eine Sicht auf Die Linken. Die Aussparung, die auch in allen konservativen Medien konsequent betrieben wird, scheint angesichts der Beteiligung mit Abgeordneten im alten und neuen Bundestag ein gravierender Punkt zu sein, warum dieses fatale Wahlergebnis zustande kam. Es ist in der Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar gewesen, dass Die Linke vier Jahre Oppositionsführerin war. Wenn es im Bundestag etwas zu sagen gab, und da schienen sich alle konservativen Medien einig gewesen zu sein, wurde die Stimme der Linken größtenteils außen vorgelassen oder nur mit „extremen“ – für das bürgerliche Publikum – Äußerungen zitiert. Eine Kritik an der Linken wäre in Ihrem Beitrag sehr angebracht gewesen. Sie ist eine Kraft im bundesrepublikanischen Alltag, die nicht nur in Parlamenten sitzt, sondern auch Regierungsverantwortung trägt. Wenn es zu einem Wandel im Sinne von Campact und seinen Anhängern, aber vor allem für eine sozial gerechte und friedensbetonte Gesellschaft geht, dann mit der Linken und einer Auseinandersetzung mit ihren positiven und negativen Seiten (aber bitte nicht mehr DDR, SED, PDS, Stasi … das sind andere Spielfelder und lenken von den tatsächlichen Problemen und ihren Lösungen ab, gehören aber trotzdem zur Vergangenheitsbewältigung).
Dies mein Kommentar, der leider zu umfangreich für Ihre Kommentarspalte ist.
Mit freundlichen und bewegten Grüßen
Michael Lindner